Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
1
Sie war pünktlich.
Während mit lautem Scheppern Rolläden heruntergelassen wurden wie tonnenschwere Augenlider und Vespafahrer über den nassen Basalt bretterten, um rechtzeitig nach Hause zu kommen, schob die Tabakfrau ihren Zeigefinger einem gußeisernen Löwenkopf ins Maul. Es klingelte.
Livia, die Malerin, öffnete und staunte nicht schlecht. Ganz in Schwarz. Sie kannte die Tabakfrau nur umgeben von den Blümchen und Karos der Kittelkleider, die sie im Laden trug, über Rock und Bluse, und Rock und Bluse wiederum über einem umfangreichen Körper. Heute abend stand hingegen eine attraktive Frau in der Tür, die ihren fülligen Körper ansehnlich verhüllt hatte: weite schwarze Seidenhose, darüber ein ebenfalls weiter schwarzer Feinstrickpullover, über der Brust eine Kette aus dunkelroten Holzperlen. Farblich Ton in Ton der Lippenstift, der Nagellack. Die Haare offen, schwarz mit grauen Strähnen.
Livia kam aus dem Staunen nicht heraus. » Mamma mia! Toll sehen Sie aus. Kommen Sie herein.«
Die Tabakfrau war weder Lob noch Komplimente gewöhnt. Sie lächelte, eine Spur verunsichert.
»Finden Sie wirklich?« Sie sah sich um, wußte nicht recht, ob sie sich auf den einzigen Stuhl im Raum oder auf den Diwan setzen oder vorläufig stehen bleiben sollte.
Von den Wänden des nicht gerade geräumigen Ateliers schweiften Blicke durch den Raum, kreuz und quer, einige Blicke blieben darin gefangen, so schien es, während andere durch die gegenüberliegende Wand nach außen drangen. Es waren suchende Blicke, offene, verschlossene, rundum befriedigte, abschätzige oder in sich versunkene, eine kleine Auswahl aus der Palette der Stimmungen und Charaktere. Die Malerin hatte überwiegend Porträts gemalt – die Tabakfrau nahm jedenfalls an, daß die Bilder an den Wänden von ihr stammten – nur Gesichter mit Hals, der Oberkörper, der ganze Körper, Menschen mit Leib und Seele, mit Haut und Haaren, bekleidet, nackt, gerahmt, ungerahmt, Zeichnungen, Ölgemälde, Aquarelle. Es waren sehr eigene, nicht gerade schmeichelhaft zu nennende Bilder, auf denen nichts an- oder ausgeglichen wurde – Falten, die zu lange Nase, der breite Mund, die ersten grauen Strähnen im Haar. Es hatte im Gegenteil den Anschein, als habe die Malerin bestimmte Wesenszüge der Porträtierten besonders hervorgehoben, ohne jedoch zu karikieren – eine Kunst für sich, wie die Tabakfrau befand.
Als sie die Malerin zum ersten Mal auf gesucht hatte, war sie zunächst erschrocken gewesen, um nicht zu sagen schockiert. Und hätte fast einen Rückzieher gemacht. Doch nach einer Weile begann sie sich wohler zu fühlen in Gesellschaft dieser Leute an den Wänden, die in keinster Weise so aussahen, als hätten sie sich makelarm bis makellos zurechtgemacht. Im Gegenteil, eine kleine Last fiel von ihr ab, der Zwang zur Schönheit, der allerorten geschürt wurde, die Angst vor dem häßlichen Bild. Wenn die anderen genug Mut hatten, sich malen zu lassen, dann hatte sie ihn auch. Und damit basta.
»Sie sehen wirklich toll aus«, wiederholte Livia. »Ganz anders als tagsüber im Laden.«
Die Tabakfrau lächelte erneut. »Sieht man es schon?«
»Was denn?« Livia war bekannt für ihre Argusaugen und kannte derlei Fragen nur von Frauen, die im zweiten Monat schwanger waren.
»Ich nehme ab«, sagte die Tabakfrau mit bescheidenem Triumph in der Stimme.
Livia kniff die Augen zusammen, musterte ihr Gegenüber. Dann nickte sie. »Natürlich.«
In der Tat, das war es. Ihr war zuallererst die Farbe ins Auge gefallen, der schwarze Grundton, und sie hatte überlegt, ob ein Mitglied aus der Familie der Tabakfrau gestorben sei, wogegen jedoch die roten Accessoires sprachen. Oder vielleicht lag es am Feierabend, am Wechsel von Rollen und Klamotten, da schlüpften so allerlei Leute in andere Gewänder und oft genug sogar in eine andere Haut. Es stimmte: die Tabakfrau war ein wenig dünner geworden. Man könnte auch sagen: ein wenig weniger dick. Es tat ihr sichtlich gut, den eigenen Körper aus den Fettmassen herauszuschälen, sich in Bewegung zu setzen, wohin auch immer.
Livia hatte noch nie eine buchstäblich so leibhaftige Frau gemalt. »Hauptsache, das Abnehmen geht nicht so schnell, daß ich jede Woche ein neues Bild anfangen muß.«
Die Tabakfrau schüttelte den Kopf. »Leider nicht. Das wird eine ganze Weile dauern. Seit Januar sind es erst, ich meine: schon zwanzig Kilo.« Sie musterte die Malerin. »Bei Ihnen würde das ins Gewicht fallen.«
»Bei
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