Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
lächelnd, aber Jake hatte den Revolvermann noch nie so traurig sprechen hören. Das ängstigte ihn. »Hier geht’s nur um Ka-Shume, das zu jedem Ka-Tet kommt, das jemals existiert hat … Aber jetzt, solange wir heil sind, teilen wir uns unser Wasser. Wir teilen unser Khef. ’s ist ein freudiger Brauch.«
Er wandte sich an Susannah.
»Nennst du mich Dinh?«
»Ja, Roland, ich nenne dich Dinh.« Sie wirkte sehr blass, aber vielleicht kam das nur vom weißen Licht der Gaslampen.
»Willst du Khef mit mir teilen und dieses Wasser trinken?«
»Mit Vergnügen«, sagte sie und griff nach ihrem Plastikbecher.
»Trink, Lehnsfrau.«
Sie trank und hielt ihre ernsten dunklen Augen dabei auf ihn gerichtet. Sie dachte an die Stimmen, die sie in Oxford im Gefängnis gehört hatte: dieser tot, jener tot, jener andere tot; o Discordia, und die Schatten werden länger.
Roland küsste sie auf den Mund. »Ich liebe dich, Susannah.«
»Ich liebe dich auch.«
Der Revolvermann wandte sich Jake zu. »Nennst du mich Dinh?«
»Ja«, sagte Jake. Dass er leichenblass war, stand außer Frage; sogar seine Lippen waren aschfahl. »Ka-Shume bedeutet Tod, nicht wahr? Wen von uns trifft es?«
»Das weiß ich nicht«, erwiderte Roland, »aber der Schatten kann sich noch von uns heben, weil das Rad sich noch dreht. Hast du Ka-Shume gespürt, als du mit Callahan den Schlupfwinkel der Vampire betreten hast?«
»Ja.«
»Ka-Shume für euch beide?«
»Ja.«
»Aber trotzdem bist du hier. Unser Ka-Tet ist stark und hat viele Gefahren überstanden. Vielleicht überlebt es auch diese.«
»Aber ich spüre …«
»Ja«, sagte Roland. Seine Stimme klang freundlich, aber in seinen Augen stand jener schreckliche Ausdruck. Jener Blick, der über bloße Traurigkeit hinausging, der besagte, hier werde geschehen, was geschehen müsse, der Turm aber stehe jenseits davon, der Dunkle Turm rage jenseits auf, und nach ihm strebe er mit Herz und Seele, Ka und Khef. »Ja, ich spüre es auch. Das tun wir alle. Deshalb trinken wir Wasser, bekräftigen unsere Gemeinschaft miteinander. Willst du Khef und dieses Wasser mit mir teilen?«
»Ja.«
»Trink, Lehnsmann.«
Das tat Jake. Und dann, bevor Roland ihn küssen konnte, ließ er den Becher fallen, schlang dem Revolvermann die Arme um den Hals und flüsterte ihm leidenschaftlich ins Ohr: »Roland, ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch«, sagte Roland und löste sich sanft aus der Umarmung. Draußen frischte abermals der Wind auf. Jake wartete darauf, dass gleich etwas heulen würde – triumphierend möglicherweise –, aber alles blieb still.
Roland wandte sich lächelnd dem Billy-Bumbler zu.
»Oy von Mittwelt, nennst du mich Dinh?«
»Dinh!«, sagte Oy.
»Willst du Khef und dieses Wasser mit mir teilen?«
»Khef! Was’!«
»Trink, Lehnsmann.«
Oy steckte die Schnauze in den Plastikbecher – eine ziemlich delikate Angelegenheit – und schlabberte das Wasser auf. Als der Becher leer war, sah er erwartungsvoll auf. An seinen Schnurrbarthaaren hingen einige Tropfen.
»Oy, ich liebe dich«, sagte Roland und brachte sein Gesicht in Reichweite der scharfen Zähne des Bumblers. Oy leckte ihm einmal kurz über die Wange, dann steckte er die Schnauze wieder in den Becher, weil er wohl hoffte, darin noch ein paar Tropfen zu finden.
Roland streckte die Hände aus. Jake ergriff die eine, Susannah die andere. Sich an den Händen haltend bildeten sie auf diese Weise einen Kreis. Wie Trinker am Ende eines Treffens der Anonymen Alkoholiker, dachte Eddie.
»Wir sind ka-tet«, sagte Roland. »Wir sind eins aus vielen. Wir haben unser Wasser geteilt, wie wir unser Leben und unser Streben geteilt haben. Sollte einer von uns fallen, ist dieser eine nicht verloren, denn wir sind eins und werden ihn nicht vergessen, auch im Tode nicht.«
Sie hielten sich noch einen Augenblick länger an den Händen. Roland ließ als Erster los.
»Wie sieht dein Plan aus?«, fragte Susannah ihn. Sie sagte nicht Schätzchen zu ihm; soviel Jake mitbekam, bedachte sie ihn niemals wieder mit diesem oder einem anderen Kosenamen. »Willst du ihn uns nicht erklären?«
Roland nickte zu dem Wollensak-Tonbandgerät hinüber, das auf der Munitionskiste stand. »Vielleicht sollten wir uns erst das da anhören«, sagte er. »Ich habe bereits so etwas wie einen Plan, aber was Brautigan zu sagen hat, könnte bei einigen Details nützlich sein.«
5
Nacht in Donnerschlag war die exakte Definition von Dunkelheit: kein Mond, keine
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