Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
jetzt wohl gerade sind, Roland? In Maine, auf der Suche nach dem Schriftsteller? Diesem Mann, der in gewisser Weise auch mich erschaffen hat? In New York, auf der Suche nach Eddies Frau? Ist überhaupt noch einer von euch am Leben? Ich weiß, dass die Chancen, dass Sie Donnerschlag erreichen, schlecht stehen; das Ka zieht Sie zum Devar-Toi hin, aber ein sehr mächtiges Anti-Ka, das jener, den Sie den Scharlachroten König nennen, in Gang gesetzt hat, arbeitet auf tausenderlei Weise gegen Sie und Ihr Tet. Und dennoch …
War es Emily Dickinson, die Hoffnung das Ding mit Federn genannt hat? Ich kann mich nicht entsinnen. Es gibt sehr viele Dinge, an die ich mich nicht mehr erinnern kann, aber ich weiß anscheinend noch, wie man kämpft. Vielleicht ist das eine gute Sache. Ich hoffe, dass es eine gute Sache ist.
Seid ihr schon auf die Idee gekommen, euch zu fragen, wo ich das hier gerade aufnehme, Lady und Gentlemen?«
Darauf waren sie nicht gekommen. Sie saßen nur da, von dem leicht rauchigen Klang von Brautigans Stimme wie hypnotisiert, und ließen eine Flasche Perrier und eine Büchse mit Graham-Krackern herumgehen.
»Ich will’s euch sagen«, fuhr Brautigan fort, »teils weil es die drei von euch, die aus Amerika stammen, sicher amüsieren wird, aber vor allem, weil es euch vielleicht helfen kann, einen Plan auszuarbeiten, wie das, was im Algul Siento vor sich geht, unterbunden werden kann.
Während ich spreche, sitze ich in einem Sessel aus Schokoladentafeln. Das Sitzpolster ist ein großes blaues Marshmallow, und ich bezweifle, dass die Luftmatratzen, die wir für euch zurücklassen wollen, bequemer sein könnten. Man würde vermuten, ein Polster dieser Art sei klebrig. Mitnichten. Die Wände des Raums hier und der Küche, die ich sehen kann, wenn ich durch die Gummibonbonbogen links von mir blicke – bestehen aus grüner, gelber und roter Bonbonmasse. Leckt man die grüne an, schmeckt man Limone. Leckt man die rote an, schmeckt man Himbeere. Ich glaube allerdings, dass Geschmack (in jedem Sinn dieses vieldeutigen Worts) nur sehr wenig mit Sheemies Auswahl zu tun hatte; ich glaube, dass er nur eine kindliche Vorliebe für leuchtende Primärfarben hat.«
Roland nickte und lächelte dabei ein wenig.
»Ich muss jedoch gestehen«, sagte die Tonbandstimme trocken, »dass ich froh wäre, wenn ich wenigstens einen Raum in etwas dezenteren Farben hätte. Vielleicht in Blau. Erdfarben wären noch besser.
Weil wir gerade bei Erdfarben sind: Die Treppe hier ist ebenfalls aus Schokolade. Das Geländer ist eine gestreifte Bonbonstange. Man kann jedoch nicht von ›der Treppe ins Obergeschoss‹ sprechen, es gibt nämlich kein Obergeschoss. Durchs Fenster kann man Autos vorbeifahren sehen, die verdächtig wie Bonbons aussehen, und der Straßenbelag scheint Lakritze zu sein. Wenn man jedoch die Tür öffnet und mehr als nur einen einzigen Schritt in Richtung Lakritzstraße macht, findet man sich dort wieder, wo man angefangen hat. In dem, was wir in Ermangelung eines besseren Begriffs ebenso gut ›die wirkliche Welt‹ nennen können.
Das Pfefferkuchenhäuschen – so nennen wir’s nämlich, weil man das hier drinnen immer riecht: warmen Pfefferkuchen, soeben frisch aus dem Backofen – ist gleichermaßen Dinkys Schöpfung wie die Sheemies. Dinky ist in Corbett Hall neben Sheemie einquartiert worden und hat eines Nachts mitbekommen, wie Sheemie sich in den Schlaf geweint hat. Viele Leute hätten unter solchen Umständen angelegentlich weggehört, und ich gebe zu, dass wohl niemand weniger wie der barmherzige Samariter aussieht als Dinky Earnshaw, aber statt wegzuhören, hat er an die Tür von Sheemies Wohnung geklopft und gefragt, ob er hereinkommen dürfe.
Fragt man ihn heute danach, erzählt Dinky einem, das sei keine große Sache gewesen. ›Ich war hier neu, ich war einsam, ich war auf der Suche nach Freunden‹, sagt er dann. ›Als ich einen Kerl so flennen gehört habe, hab ich mir gedacht, dass er vielleicht auch einen Freund wollen würde.‹ Als ob das die natürlichste Sache der Welt wäre. So etwas könnte freilich vielerorts zutreffen, aber nicht im Algul Siento. Und vor allem darüber müsst ihr euch meines Erachtens im Klaren sein, wenn ihr uns verstehen wollt. Entschuldigt also, wenn ich auf diesem Punkt herumzureiten scheine.
Einige der Hume-Wächter nennen uns ›Morks‹ – nach irgendeinem außerirdischen Lebewesen aus irgendeiner Fernsehkomödie. Und Morks sind die selbstsüchtigsten
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