Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
Sterne. Stünden wir jedoch außerhalb der Höhle, in der Roland und sein Tet soeben Khef geteilt haben und sich jetzt die Tonbänder anhören werden, die Ted Brautigan für sie zurückgelassen hat, würden wir in jenem winddurchtosten Dunkel zwei rot glühende Kohlenstücke schweben sehen. Würden wir den über die Flanke der Steek-Tete führenden Bergpfad hinaufsteigen (bei Nacht ein gefährliches Unterfangen), würden wir schließlich auf eine siebenbeinige Spinne stoßen, die jetzt auf dem merkwürdig zusammengeschrumpften Körper eines Mutie-Kojoten hockte. Dieser Can-Toi-Tete war lebend eine wahrhafte Missgeburt mit einem aus der Brust ragenden fünften Bein und einer zwischen den Hinterläufen wie ein Euter herabhängenden gallertartigen Fleischmasse gewesen, aber sein Fleisch nährte Mordred, und sein Blut – in einer Folge langer Züge dampfend genossen – war süß wie Dessertwein. Eigentlich gab es hier drüben alle möglichen Lebewesen, die man fressen konnte. Mordred hatte zwar keine Freunde, die ihn mit den Siebenmeilenstiefeln der Teleportation von einem Ort zum anderen tragen konnten, aber auch er hat den Weg vom Bahnhof Donnerschlag zur Steek-Tete ohne größere Mühen zurückgelegt.
Er hat genug mitbekommen, um bestimmt zu wissen, was sein Vater plant: einen Überfall auf jenen dort unten liegenden Gefängniskomplex. Sie sind erbärmlich in der Unterzahl, aber Rolands kleine Gruppe von Revolvermännern ist ihm leidenschaftlich ergeben, und Überraschung ist stets eine mächtige Waffe.
Außerdem sind Revolvermänner das, was Jake fou nennen würde: völlig verrückt, wenn ihr Blut in Wallung geriet, und nichts und niemanden fürchtend. Solche Berserkerwut war eine noch mächtigere Waffe.
Mordred wurde mit ziemlich viel ererbtem Wissen geboren, so scheint es. Er weiß beispielsweise, dass sein Roter Vater, hätte er erfahren, was Mordred jetzt weiß, sofort den Direktor des Devar-Toi oder dessen Sicherheitschef von der Anwesenheit des Revolvermanns benachrichtigt hätte. Und dann wäre das Ka-Tet aus Mittwelt irgendwann im Verlauf dieser Nacht seinerseits überfallen worden. Möglicherweise im Schlaf getötet, und alles, damit die Brecher weiter das Werk des Königs tun konnten. Mordred wurde nicht mit dem Wissen um dieses Werk geboren, aber er kann logisch denken und hat scharfe Ohren. Er versteht jetzt, was die Revolvermänner hergeführt hat: Sie sind gekommen, um die Brecher zu zerbrechen.
Er könnte sie daran hindern, gewiss, aber Mordred empfindet seinem Roten Vater gegenüber nicht mehr Loyalität als gegenüber seinem Weißen Vater. Was er wirklich am meisten genießt – das entdeckt er jetzt –, ist die bittere Einsamkeit eines Außenstehenden. Die Ereignisse mit dem kalten Interesse eines Kindes zu beobachten, das Leben und Tod, Krieg und Frieden durch die Glasscheibe der Ameisenfarm auf seinem Schreibpult beobachtet.
Würde er wirklich zulassen, dass der Ki’-dam dort unten seinen Weißen Vater tötete? Oh, wahrscheinlich nicht. Dieses Vergnügen behält Mordred sich selbst vor, und er hat seine Gründe dafür; schon jetzt hat er seine Gründe dafür. Aber was die anderen betrifft – den jungen Mann, die kurzbeinige Frau, den Jungen –, ja, wenn Ki’-dam Prentiss die Oberhand gewinnt, soll er sie nach Belieben töten oder auch alle drei. Was Mordred Deschain angeht, so wird er das Spiel seinen Lauf nehmen lassen. Er wird beobachten. Er wird zuhören. Er wird die Schreie hören und den Brandgeruch riechen und das Blut in der Erde versickern sehen. Und erst dann, wenn er glaubt, dass Roland mit seinem Vorhaben zu scheitern droht, wird er, Mordred, eingreifen. Zugunsten des Roten Königs, wenn das angezeigt scheint, aber in Wirklichkeit zu seinen eigenen und aus eigenen Beweggründen, die recht simpel sind: Mordred sein hongrig.
Und wenn Roland und sein Ka-Tet ihr Spiel gewinnen sollten? Es gewinnen und ihren Weg zum Turm fortsetzen? Das hält Mordred für nicht sehr wahrscheinlich, auf seine eigentümliche Art gehört nämlich auch er zu ihrem Ka-Tet; er teilt ihr Khef und fühlt, was sie fühlen. Er spürt das bevorstehende Auseinanderbrechen ihrer Gemeinschaft.
Ka-Shume!, denkt Mordred lächelnd. Im Kopf des Wüstenhundes ist ein einzelnes Auge zurückgeblieben. Eines der behaarten Spinnenbeine liebkost es und pflückt es dann heraus. Mordred isst es wie eine Weinbeere, dann wendet er sich wieder dem weißen Licht der Gaslaternen zu, das an den Rändern der Wolldecke
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