Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
gesagt hatte, Piper besäße DAS BESTE LEHRER-SCHÜLER-VERHÄLTNIS ALLER PRIVATSCHULEN IM OSTEN. Er hatte, um das zu bekräftigen, mehrmals mit der Faust auf das Pult im Gemeinschaftszimmer geschlagen. Jake hatte es nicht über Gebühr beeindruckt, aber er hatte die Information seinem Vater weitergegeben. Er hatte gedacht, sein Vater würde beeindruckt sein, und damit hatte er sich nicht geirrt.
    Er machte den Reißverschluß des Schulranzens auf und nahm behutsam die Mappe mit seinem Abschlußaufsatz heraus. Er legte ihn auf den Schreibtisch und wollte einen letzten Blick darauf werfen, als seine Aufmerksamkeit auf die Tür an der linken Seite des Zimmers gelenkt wurde. Er wußte, sie führte zur Garderobe, aber heute war sie abgeschlossen, weil es in New York einundzwanzig Grad hatte und niemand einen Mantel trug, der verstaut werden mußte. Da drinnen befand sich nichts, außer vielen Kleiderhaken aus Messing an der Wand und einer langen Gummimatte für Stiefel auf dem Boden. Ein paar Schachteln mit Schulbedarf – Kreide, Verzeichnisse und so weiter – waren in der gegenüberliegenden Ecke gestapelt.
    Nichts Besonderes.
    Dennoch stand Jake von seinem Sitz auf, ließ den Ordner ungeöffnet auf dem Pult liegen und ging zu der Tür. Er konnte hören, wie seine Klassenkameraden leise miteinander murmelten und mit Papier raschelten, während sie ihre eigenen Abschlußaufsätze nach dem entscheidenden falsch gesetzten Komma oder einem unklaren Ausdruck absuchten, aber diese Geräusche schienen weit entfernt zu sein.
    Die Tür hatte seine Aufmerksamkeit geweckt.
    In den letzten zehn Tagen oder so waren die Stimmen in seinem Kopf immer lauter geworden, und Türen hatten Jake immer mehr fasziniert. Er mußte diejenige zwischen seinem Schlafzimmer und dem oberen Flur allein vergangene Woche an die fünfhundertmal aufgemacht haben, die zwischen Schlafzimmer und Bad gut tausendmal. Jedesmal hatte er dabei einen festen Knoten der Erwartung in der Brust gespürt, als läge die Lösung für all seine Probleme hinter dieser Tür oder der anderen, und er würde sie schon finden… irgendwann. Aber jedesmal fand er nur den Flur oder das Bad oder den Gehweg oder was auch immer.
    Letzten Donnerstag war er von der Schule nach Hause gekommen, hatte sich aufs Bett geworfen und war eingeschlafen; der Schlaf, so schien es, war die einzige Zuflucht, die ihm noch geblieben war. Aber als er fünfundvierzig Minuten später erwacht war, hatte er neben dem Bücherregal an der Wand gestanden. Er hatte die Form einer Tür auf die Tapete gemalt. Zum Glück hatte er einen Bleistift benützt, daher hatte er die schlimmsten Spuren wieder ausradieren können.
    Als er sich jetzt der Tür zur Garderobe näherte, verspürte er dasselbe Kribbeln der Hoffnung und die Gewißheit, daß diese Tür nicht in einen halbdunklen Wandschrank führen würde, in dem nur die Gerüche des Winters vorherrschten – Flanell, Gummi und nasser Pelz –, sondern in eine andere Welt, wo er wieder gesund sein konnte. Heißes, grelles Licht würde in einem Dreieck auf den Boden des Klassenzimmers fallen, und er würde Vögel an einem blaßblauen Himmel kreisen sehen, der die Farbe (seiner Augen) von verblichenen Jeans hatte. Ein Wüstenwind würde ihm das Haar zurückwehen und den nervösen Schweiß auf seiner Stirn trocknen.
    Er würde durch diese Tür gehen und geheilt sein.
    Jake drehte den Knopf und machte die Tür auf. Dahinter lagen nur Dunkelheit und eine Reihe Kleiderhaken aus Messing. Ein längst vergessener Fäustling lag bei dem Stapel Tabellenbücher in der Ecke.
    Seine Hochstimmung verschwand, und ihm war plötzlich danach zumute, sich einfach in diesem dunklen Raum mit den bitteren Gerüchen nach Winter und Kreidestaub zu verkriechen. Er konnte den Handschuh weglegen und sich in die Ecke unter die Haken setzen. Er konnte sich auf die Gummimatte setzen, wo man im Winter die Stiefel abstellte. Er konnte dort sitzen, den Daumen in den Mund stecken, die Knie an die Brust ziehen, die Augen zumachen und… und…
    Und einfach aufgeben.
    Diese Vorstellung – die Erleichterung dieser Vorstellung – war unglaublich anziehend. Es würde das Ende von Entsetzen und Verwirrung und Desorientierung bedeuten. Das letztere war wahrscheinlich das Schlimmste: das beharrliche Gefühl, als hätte sich sein ganzes Leben ins Spiegelkabinett eines Jahrmarkts verwandelt.
    Aber Jake hatte so sicher einen Kern aus Stahl, wie Eddie und Susannah ihn hatten. Dieser ließ nun sein stumpfes

Weitere Kostenlose Bücher