Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
Handfläche der rechten Hand. Er hatte eine Ahnung, daß er fester zustoßen und mehr sehen konnte, aber das machte den Jungen vielleicht auf seine Anwesenheit aufmerksam. Und das konnte gefährlich werden. Schlitzer roch den Braten vielleicht, und wenn nicht er, dann der Ticktackmann.
Er sah zu den schmalen Lüftungsgittern hoch, dann zu Oy hinunter. Er hatte sich mehrmals gefragt, wie klug das Tier genau sein mochte; jetzt sah es aus, als würde er es herausfinden.
Roland hob die unversehrte linke Hand, schob die Finger zwischen die horizontalen Streben des Lüftungsgitters gleich neben der Tür, durch die Jake verschwunden war, und zog. Das Gitter löste sich mit einem Schauer aus Rost und trockenem Moos. Das Loch dahinter war viel zu klein für einen Menschen… aber nicht für einen Billy-Bumbler. Er legte das Gitter weg, hob Oy hoch und flüsterte ihm leise ins Ohr.
»Geh… sieh dich um… komm zurück. Hast du verstanden? Sie dürfen dich nicht bemerken. Geh nachsehen und komm zurück.«
Oy sah ihm ins Gesicht und sagte nichts, nicht einmal Jakes Namen. Roland hatte keine Ahnung, ob er das Gesagte verstanden hatte oder nicht, aber es war auch sinnlos, mit Nachdenken darüber Zeit zu vergeuden. Er hob Oy in den Lüftungsschacht. Der Bumbler schnüffelte an den Krümeln getrockneten Mooses, nieste verhalten, kauerte dann nur reglos da und betrachtete Roland mit seinen seltsamen Augen, während der Luftzug über sein glattes, seidiges Fell strich.
»Geh, sieh dich um und komm zurück«, wiederholte Roland flüsternd, dann verschwand Oy lautlos, mit eingezogenen Krallen und auf den Pfoten schleichend, in den Schatten.
Roland zog wieder die Waffe und tat das schwerste. Er wartete.
Oy kam nicht einmal drei Minuten später zurück. Roland nahm ihn aus dem Schacht und setzte ihn auf den Boden. Oy streckte den langen Hals und sah zu ihm auf. »Wie viele, Oy?« fragte Roland. »Wie viele hast du gesehen?«
Eine Zeitlang dachte Roland, der Bumbler würde ihn nur weiter auf seine ängstliche Weise ansehen. Dann hob er die rechte Pfote zaghaft in die Luft, fuhr die Krallen aus und sah drein, als versuchte er, sich an etwas ungeheuer Kompliziertes zu erinnern. Schließlich klopfte er auf den Stahlboden.
Eins… zwei… drei… vier. Eine Pause. Dann noch zweimal, rasche und behutsame Laute der ausgefahrenen Krallen auf dem Stahl: fünf, sechs. Oy machte noch eine Pause, senkte den Kopf und sah wie ein Kind aus, das sich einer gewaltigen geistigen Herausforderung gegenüber sieht. Dann klopfte er noch einmal mit der Pfote auf den Stahl und sah dabei zu Roland auf. »Ake!«
Sechs Graue… und Jake.
Roland hob Oy hoch und streichelte ihn. »Gut!« murmelte er in Oys Ohr. In Wahrheit war er fast überwältigt vor Überraschung und Dankbarkeit. Er hatte sich etwas davon versprochen, aber diese sorgfältige Antwort war überwältigend. Und er zweifelte nicht, daß Oy genau gezählt hatte. »Guter Boy!«
»Oy! Ake!«
Ja, Jake. Das war das Problem. Jake, dem er ein Versprechen gegeben hatte, das er einhalten wollte.
Der Revolvermann dachte angestrengt auf seine seltsame Weise nach – die Verbindung von trockenem Pragmatismus und wilder Intuition, die er wahrscheinlich von seiner seltsamen Großmutter, Deidre der Irren, bekommen und die ihn all die Jahre am Leben erhalten hatte, während seine Gefährten gestorben waren. Jetzt mußte sie auch Jake das Leben retten.
Er hob Oy wieder hoch. Er wußte, Jake konnte – konnte – überleben, aber der Bumbler würde mit ziemlicher Sicherheit sterben. Er flüsterte mehrere einfache Worte in Oys gespitztes Ohr, die er immerzu wiederholte. Schließlich verstummte er und setzte ihn in den Luftschacht. »Guter Junge«, flüsterte er. »Geh jetzt. Mach es gut. Mein Herz ist mit dir.«
»Oy! Erz! Ake!« flüsterte der Bumbler, dann wuselte er wieder in die Dunkelheit.
Roland wartete darauf, daß die Hölle losbrechen würde.
30
Stell mir eine Frage, Eddie Dean von New York. Und es sollte besser eine gute sein… Denn wenn sie nicht gut ist, wirst du mit deiner Frau sterben, woher ihr auch gekommen sein mögt.
Großer Gott, was sollte man denn auf so etwas antworten?
Das dunkelrote Licht war ausgegangen; jetzt leuchtete das rosafarbene wieder auf. »Rasch«, drängte die Flüsterstimme des kleinen Blaine. »Er ist schlimmer als jemals zuvor… beeilt euch, sonst tötet er euch!«
Eddie bekam am Rande mit, daß der Schwarm aufgeschreckter Tauben immer noch durch
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