Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
hat man alles Recht, überheblich zu sein; die Zeit hat gewöhnlich noch nicht mit ihrer verstohlenen und niederträchtigen Subtraktion begonnen. Sie nimmt einem das Haar und die Sprungkraft, wie es in einem beliebten Countrysong heißt, aber in Wahrheit nimmt sie einem eine ganze Menge mehr als das. 1966/67 habe ich das noch nicht gewusst, und wenn, dann wär’s mir egal gewesen. Ich konnte mir gerade noch vorstellen, vierzig zu sein, aber fünfzig? Nein. Sechzig? Nie! Sechzig war völlig ausgeschlossen. Mit neunzehn ist das eben so. Neunzehn ist das Alter, in dem man sagt: Pass auf, Welt, ich rauche TNT und trinke Dynamit, und wenn dir dein Leben lieb ist, geh mir aus dem Weg – hier kommt Stevie.
Neunzehn ist ein selbstsüchtiges Alter, in dem man seine Interessen fest umrissen sieht. Ich wollte hoch hinaus, das war mir wichtig. Ich hatte jede Menge Ehrgeiz, das war mir wichtig. Ich besaß eine Schreibmaschine, die ich von einem Rattenloch zum nächsten schleppte, immer ein Briefchen Dope in der Tasche und ein Lächeln im Gesicht. Die Kompromisse des mittleren Alters waren in weiter Ferne, die Würdelosigkeit des Greisenalters jenseits des Horizonts. Wie der Protagonist in jenem Bob-Seger-Song, der inzwischen in der Werbung für Trucks verwendet wird, fühlte ich mich unendlich stark und unendlich optimistisch; meine Taschen waren leer, aber ich hatte den Kopf voller Dinge, die ich mitteilen wollte, und das Herz voller Geschichten, die ich erzählen wollte. Klingt heute abgedroschen, fühlte sich damals aber wunderbar an. Richtig cool. Mehr als alles wollte ich hinter die Abwehr der Leser gelangen, wollte sie aufmischen und einsacken, um sie mit nichts als einer Geschichte für immer zu verändern. Und ich spürte, dass ich dazu in der Lage war. Ich spürte, dass ich dafür geradezu geschaffen war.
Wie eingebildet klingt das? Ganz schön oder nur ein bisschen? So oder so, ich entschuldige mich für nichts. Ich war neunzehn. Mein Bart wies nicht eine einzige graue Strähne auf. Ich besaß drei Paar Jeans, ein Paar Schuhe, die Vorstellung, dass mir die Welt zu Füßen lag; und nichts, was die nächsten zwanzig Jahre passieren sollte, konnte mich widerlegen. Schließlich, so um die neununddreißig, fingen meine Sorgen an: Alkohol, Drogen, ein Straßenunfall, der meine Gangart (unter anderem) verändern sollte. Ich habe über diese Dinge bereits ausführlich geschrieben und brauche mich hier nicht zu wiederholen. Außerdem geht es Ihnen doch auch nicht anders, oder? Irgendwann schickt einem die Welt einen fiesen Verkehrspolizisten, der einen runterbremst, um einem zu zeigen, wer das Sagen hat. Wer das hier liest, ist seinem bestimmt schon begegnet (oder wird das tun); mir ist das jedenfalls so gegangen, und dass es sich wiederholen wird, ist so sicher wie nur was. Meine Adresse hat er ja jetzt. Er ist ein übler Bursche, dieser »Bad Lieutenant«, ein eingeschworener Gegner von Verfehlungen, Patzern, Hochmut, Ambition, lauter Musik und aller Dinge, die neunzehn sind.
Trotzdem halte ich es für ein tolles Alter. Vielleicht sogar für das beste von allen. Rock and Roll die ganze Nacht, und wenn die Musik verebbt und das Bier zur Neige geht, kommen die Gedanken. Träumt man seine großen Träume. Irgendwann kommt dann dieser fiese Verkehrspolizist und stutzt einen zusammen, und wenn man eh schon klein anfängt, na ja, dann stehen die Hosenbeine sozusagen von allein da, sobald er mit einem fertig ist. »Und jetzt zum nächsten Übeltäter!«, ruft er, guckt in sein Vorladungsbüchlein und macht sich auf den Weg. Ein bisschen Überheblichkeit (oder sogar große) ist also gar nicht so schlecht, obwohl einem Muttern höchstwahrscheinlich etwas anderes erzählt hat. Meine hat das. Hochmut kommt vor dem Fall, Stephen , hat sie gesagt … und schließlich hat sich irgendwie herausgestellt – genau in dem Alter, das 19 × 2 entspricht –, dass man zu guter Letzt tatsächlich fällt. Oder in den Graben geschubst wird. Wenn man neunzehn ist, können sie in den Bars von einem einen Ausweis verlangen, um einem dann zu bescheiden, man solle sich verpissen und seine erbärmliche Erscheinung (und seinen noch erbärmlicheren Arsch) wieder auf die Straße verpflanzen, aber keiner kann einen Ausweis verlangen, wenn man sich hinsetzt, um ein Bild zu malen, ein Gedicht zu schreiben oder eine Geschichte zu erzählen, wirklich nicht; und solltet ihr Leser noch sehr jung sein, dann lasst euch von Älteren mit vermeintlich mehr
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