Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
vier ersten Bände der amerikanischen Taschenbuchausgabe umfassen über zweitausend Seiten. Die drei abschließenden Bände umfassen im Manuskript weitere zweitausendfünfhundert Seiten. Ich will hier nicht andeuten, dass Länge das Geringste mit Qualität zu tun hat; ich möchte damit bloß sagen, dass ich ein Epos hatte schreiben wollen, was mir in mancher Hinsicht auch gelungen ist. Fragte man mich, warum ich das tun wollte, müsste ich die Antwort schuldig bleiben. Möglicherweise hat es teilweise damit zu tun, dass ich in Amerika aufgewachsen bin: am höchsten bauen, am tiefsten graben, am längsten schreiben. Und die hilflose Verlegenheit, wenn die Frage nach der Motivation aufkommt? Auch das ist wohl Teil davon, Amerikaner zu sein. Zu guter Letzt bleibt uns nur die eine Antwort: Damals kam mir das wie eine klasse Idee vor.
III
Eines der anderen Dinge, wenn man neunzehn ist, wenn’s beliebt: Es ist meiner Meinung nach das Alter, in dem man irgendwie stecken bleibt (verstandes- und gefühlsmäßig, wenn nicht gar körperlich). Die Jahre ziehen vorüber, und eines Tages schaut man dann verwirrt in den Spiegel. Warum sind da diese Falten im Gesicht? , fragt man sich. Woher kommt diese dämliche Wampe? Verdammt, ich bin erst neunzehn. Das ist zwar nicht gerade die allerneuste Erkenntnis, was aber in keiner Weise hilft, die Verblüffung zu lindern.
Die Zeit schmiert einem das Grau in den Bart, die Zeit nimmt einem die Sprungkraft, während man ständig denkt – du Dummerchen auch –, dass man alle Zeit der Welt hat. Die Stimme der Logik weiß es zwar besser, aber im Innersten wollen wir es einfach nicht glauben. Wenn man Glück hat, hält einem jener Verkehrspolizist, der einen wegen Geschwindigkeitsübertretung und überbordender Lebensfreude vor sich zitiert hat, eine Prise Riechsalz unter die Nase. Mehr oder weniger ist mir dergleichen am Ende des 20. Jahrhunderts selbst widerfahren. Er kam in Gestalt eines Plymouth-Vans, der mich in meiner Heimatstadt in den Straßengraben stieß.
Etwa drei Jahre nach dem Unfall war ich anlässlich einer Signierstunde zu meinem Buch Der Buick in einer Filiale der Buchhandelskette Borders in Dearborn, Michigan. Einer der Leser, der sich die Warteschlange vorgearbeitet hatte, sagte dort zu mir, wie überaus er sich freue, dass ich noch am Leben sei. (Ich bekomme das oft zu hören, und es schlägt um Längen die Frage: »Warum, zum Teufel, bist du nicht abgekratzt?«)
»Ich saß gerade mit einem guten Freund zusammen, als wir gehört haben, dass Sie abgeschossen wurden«, sagte er. »Mann, wir haben nur den Kopf geschüttelt und gesagt, da geht er hin, der Turm, er kippt, er stürzt ein, ach Scheiße, jetzt wird er ihn nie zu Ende bringen.«
Ein ähnlicher Gedanke war mir selbst schon gekommen – der beunruhigende Gedanke, dass ich jetzt, wo ich den Dunklen Turm in der kollektiven Phantasie von einer Million Leser hochgezogen hatte, sozusagen der Verpflichtung unterlag, ihn zu befestigen, solange die Leute noch darüber lesen wollten. Das mochte noch fünf Jahre der Fall sein, gut möglich aber auch fünfhundert, was weiß ich. Fantasy-Geschichten, die schlechten wie die guten (selbst in diesem Moment liest wahrscheinlich irgendwo jemand gerade Varney der Vampir oder Der Mönch ), scheinen eine lange Lebensdauer zu haben. Roland beschützt den Turm, indem er die drohende Gefahr von den Balken, die den Turm stützen, fern zu halten versucht. Ich musste den Turm beschützen, wie mir nach meinem Unfall klar wurde, indem ich die Geschichte um den Revolvermann fertig schrieb.
Während der großen Pausen zwischen dem Erscheinen der ersten vier Erzählungen um den Dunklen Turm erhielt ich hunderte Briefe mit dem Tenor »Pack deine Sachen, das schlechte Gewissen geht auf Reisen«. Im Jahr 1998 (als ich mich sozusagen nach wie vor der Täuschung hingab, im Grunde immer noch neunzehn zu sein) erhielt ich einen solchen von »Großmama, 82 J., will nicht mit meinen Sorgen aufdringlich sein, aber!! bin grad ziemlich krank«. Sie erzählte mir, dass sie wahrscheinlich nur noch ein Jahr zu leben habe (»14 Melanome, Krebs im ganzen Körper«), und obwohl sie nicht erwarte, dass ich Rolands Geschichte rechtzeitig fertig bekäme, wolle sie dennoch anfragen, ob ich ihr nicht bitte (bitte) das Ende verraten könne. Die Zeile, die mir am meisten zu Herzen ging (allerdings nicht ganz so stark, dass ich mich sofort ans Schreiben machte), war ihr Versprechen, es auch »keiner
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