Der dunkle Wächter
seit zwei Wochen ein eisiger Schneesturm über Berlin tobte, erhielt der Uhrmacher Besuch von einem sonderbaren Kunden, einem vornehmen Herrn namens Andreas Corelli. Corelli trug einen teuren, blütenweißen Anzug und seine langen, seidig glänzenden Haare waren silbergrau. Seine Augen waren hinter schwarzen Brillengläsern verborgen. Blöcklin wies ihn darauf hin, dass der Laden für Kundschaft geschlossen sei, doch Corelli ließ nicht locker, sondern erzählte, er sei von weither angereist, nur um ihn aufzusuchen. Er erklärte ihm, er sei über seine technischen Errungenschaften auf dem Laufenden und beschrieb diese sogar detailliert, was den Uhrmacher außerordentlich aufregte, war er doch überzeugt, dass seine Entdeckungen bis dahin ein Geheimnis für die Welt waren.
Corellis Ansinnen war nicht weniger sonderbar. Blöcklin sollte ihm eine Uhr machen, jedoch eine besondere Uhr. Ihre Zeiger sollten sich entgegen der üblichen Richtung bewegen. Der Grund für diesen Auftrag sei, dass Corelli an einer tödlichen Krankheit leide, die ihm nur noch wenige Monate zu leben lasse. Aus diesem Grund wolle er eine Uhr haben, die die Stunden, Minuten und Sekunden zähle, die ihm noch blieben.
Dieses außergewöhnliche Ansinnen war von einem mehr als großzügigen finanziellen Angebot begleitet. Darüber hinaus garantierte Corelli ihm ausreichend Geldmittel, um seine Forschungen lebenslänglich bezahlen zu können. Als Gegenleistung müsse er lediglich einige Wochen auf den Bau dieses Uhrwerks verwenden.
Keine Frage, dass Blöcklin auf den Handel einging. Es vergingen zwei Wochen intensiver Arbeit in seiner Werkstatt. Blöcklin war ganz in seine Aufgabe vertieft, als Tage später erneut Andreas Corelli an seine Tür klopfte. Die Uhr war fertig. Corelli begutachtete sie lächelnd, und nachdem er die Arbeit des Uhrmachers gelobt hatte, sagte er, dieser habe seinen Lohn mehr als verdient. Blöcklin bekannte erschöpft, dass er seine ganze Seele in diesen Auftrag gesteckt habe. Corelli nickte. Dann zog er die Uhr auf und setzte ihren Mechanismus in Gang. Er überreichte Blöcklin einen Beutel mit Goldmünzen und verabschiedete sich.
Außer sich vor Freude und Gier, zählte der Uhrmacher gerade seine Goldmünzen, als sein Blick auf sein Abbild im Spiegel fiel. Er sah älter aus, abgezehrt. Er hatte zu viel gearbeitet. Mit dem Entschluss, sich einige Tage freizunehmen, legte er sich schlafen.
Am nächsten Morgen schien eine strahlende Sonne durchs Fenster. Noch müde, stand Blöcklin auf, um sich das Gesicht zu waschen, und betrachtete erneut sein Spiegelbild. Doch diesmal lief es ihm kalt den Rücken hinunter. Als er sich am Abend zuvor schlafen gelegt hatte, war sein Gesicht das eines einundvierzigjährigen Mannes gewesen, müde und erschöpft zwar, aber noch jugendlich. An diesem Tag nun sah er sich dem Abbild eines Mannes um die sechzig gegenüber. Erschrocken ging er in den Park, um frische Luft zu schnappen. Als er in den Laden zurückkehrte, nahm er erneut sein Äußeres in Augenschein. Aus dem Spiegel blickte ihm ein Greis entgegen. Von Panik gepackt, stürzte er auf die Straße und stieß mit einem Nachbarn zusammen, der ihn fragte, ob er den Uhrmacher Blöcklin gesehen habe. Hysterisch rannte Hermann davon.
Diese Nacht verbrachte er in Gesellschaft von Kriminellen und zweifelhaften Gestalten in einem Winkel einer elenden Kaschemme. Lieber das, als alleine zu sein. Er fühlte, wie seine Haut mit jeder Minute runzliger wurde. Seine Knochen kamen ihm brüchig vor. Sein Atem ging schwer.
Es ging auf Mitternacht zu, als ihn ein Unbekannter fragte, ob er sich zu ihm setzen dürfe. Blöcklin sah ihn an. Es war ein junger, gutaussehender Mann von knapp zwanzig Jahren. Sein Gesicht kam ihm fremd vor, bis auf die dunkle Brille, die seine Augen verbarg. Blöcklin spürte, wie ihm das Herz stehen blieb. Corelli…
Andreas Corelli setzte sich ihm gegenüber und zog die Uhr hervor, die Blöcklin Tage zuvor angefertigt hatte. Verzweifelt fragte der Uhrmacher, was das für ein seltsames Phänomen sei, unter dem er leide. Weshalb nur altere er in Sekundenschnelle? Corelli zeigte ihm die Uhr. Die Zeiger drehten sich langsam gegen den Uhrzeigersinn. Corelli erinnerte ihn an seine Worte, dass er seine ganze Seele in diese Uhr gesteckt habe. Aus diesem Grund alterten sein Körper und seine Seele mit jeder Minute, die verstreiche.
Außer sich vor Angst, flehte Blöcklin ihn um Hilfe an. Er sei bereit, alles zu tun, auf alles zu
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