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Der Ego-Tunnel

Der Ego-Tunnel

Titel: Der Ego-Tunnel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Metzinger
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wenigstens das minimale ethische Prinzip der Verringerung und Vermeidung von bewusstem Leiden zu eigen machen, anstatt auf unbesonnene und rücksichtslose Weise eine Evolution zweiter Ordnung loszutreten, die unserer Kontrolle entgleiten könnte. Wenn es tatsächlich so etwas wie eine verbotene Frucht in der modernen Bewusstseinsforschung gibt, dann besteht sie in der fahrlässigen Vermehrung von Leiden durch die Erzeugung künstlicher Ego-Tunnel – ohne ein klares Verständnis der möglichen Konsequenzen.
Glückseligkeitsmaschinen:
Ist das bewusste Erleben ein Gut an sich?
    Eine hypothetische Frage drängt sich auf: Wenn wir nun – in die entgegengesetzte Richtung gedacht – die Gesamtmenge von Freude und Glück im Universum erhöhen könnten, indem wir es mit sich selbstständig vermehrenden und andauernd glückseligen Ego-Maschinen überfluten, sollten wir dies dann tun? Wären wir vielleicht sogar aus ethischen Gründen dazu verpflichtet?
    Meine Annahme, dass die ersten Generationen von künstlichen Ego-Maschinen geistig behinderten menschlichen Säuglingen ähneln würden und mehr Schmerz, Verwirrung und Leiden in die Welt brächten als Freude, Glück oder Einsicht, könnte aus einer ganzen Reihe von Gründen empirisch falsch sein. Solche Maschinen könnten durchaus doch besser funktionieren, als wir dachten, und sich auch in einem viel größeren Ausmaß an ihrer eigenen Existenz erfreuen, als wir erwartet hätten. Oder wir selbst – als Agenten dergeistigen Evolution und Ingenieure der postbiotischen Subjektivität – würden einfach sorgsam darauf achten, dass diese Annahme immer empirisch falsch ist , indem wir nur solche bewussten Systeme konstruieren, die entweder unfähig sind, überhaupt phänomenale Zustände wie das subjektive Leiden zu haben, oder die sich wesentlich stärker an ihrem eigenen Dasein erfreuen könnten, als Menschen das tun. Angenommen, wir könnten sicherstellen, dass die positiven Bewusstseinszustände einer solchen Maschine die negativen stets überwiegen würden – dass sie ihre eigene Existenz jederzeit als etwas besonders Wertvolles und Erstrebenswertes erlebte. Nennen wir eine solche Maschine eine Glückseligkeitsmaschine .
    Wenn wir das physikalische Universum mit Glückseligkeitsmaschinen überschwemmen und kolonisieren könnten, sollten wir dies dann tun? Wenn unsere neue Theorie des Bewusstseins uns irgendwann erlaubte, uns selbst von altmodischen biologischen Ego-Maschinen, die die psychologische Bürde der Schrecken ihrer evolutionären Geschichte tragen, in Glückseligkeitsmaschinen zu verwandeln – sollten wir dies dann tun?
    Wahrscheinlich nicht. Zu einer Existenzform, die erstrebenswert ist, oder einem Leben, das wirklich lebenswert ist, scheint mehr zu gehören als eine bestimmte Qualität des subjektiven Erlebens. Man kann das ethische Problem der Vermehrung künstlicher oder postbiotischer Systeme nicht auf die Frage reduzieren, wie die Wirklichkeit – oder das Dasein des Systems – diesem System selbst auf der Ebene des bewussten Erlebens erscheinen würde. Wahnvorstellungen können Glückseligkeit hervorrufen. Ein Krebspatient im Endstadium unter dem Einfluss höherer Dosierungen von Morphium und stimmungsaufhellenden Medikamenten kann durchaus ein sehr positives Selbstbild besitzen, so wie auch Drogensüchtige teilweise sogar in Alltagssituationen noch gut funktionieren können. Menschliche Wesen haben seit Jahrhunderten versucht, sich selbst von Ego-Maschinen in Glückseligkeitsmaschinen zu verwandeln – auf pharmakologische Art und Weise oder durch die Annahme metaphysischer Glaubenssysteme und bewusstseinsverändernder Praktiken. Warum sind fast alle von ihnen gescheitert?
    In seinem Buch Anarchy, State, and Utopia schlug der Philosoph Robert Nozick das folgende Gedankenexperiment vor: Sie haben die Möglichkeit, sich an eine »Erlebnismaschine« anschließen zu lassen, die Sie in einem Zustand andauernden Glücks hält. Würden Sie dies tun? Interessanterweise fand Nozick heraus, dass die meisten Menschen sich nicht dafür entscheiden würden, den Rest ihres Lebens an eine solche Maschine angeschlossen zu verbringen. Der Grund dafür liegt darin, dass die meisten von uns der reinen Glückseligkeit als solcher keinen Wert zuweisen, sondern möchten, dass sie ihrerseits in einer Erkenntnis der Wahrheit, in ethischer Tugend, in einer künstlerischen Leistung oder irgendeinem anderen höheren Gut verankert ist. Wir wünschen uns mit anderen Worten, dass

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