Der Ego-Tunnel
unsere Glückseligkeit gerechtfertigt ist. Wir wollen keine in einem Wahn gefangenen Glückseligkeitsmaschinen sein, sondern bewusste Subjekte, die aus einem Grund glücklich sind und die deswegen ihre eigene Existenz als etwas Erstrebenswertes erleben. Wir wollen eine außergewöhnliche Einsicht in das Wesen der Wirklichkeit, in moralische Werte oder Schönheit im Sinne objektiver Tatsachen. Nozick war der Auffassung, dass diese Reaktion eine Widerlegung des Hedonismus sei. Er bestand darauf, dass wir nicht einfach nur das reine Glücklichsein wollen, wenn es nicht gleichzeitig auch einen echten Kontakt mit einer tieferen Wirklichkeit gibt – obwohl natürlich auch diese Form des subjektiven Erlebens im Prinzip simuliert werden könnte. Darum würden auch die meisten von uns nach reiflicher Überlegung die physikalische Welt nicht mit künstlichen, vor Glückseligkeit und liebevoller Güte überfließenden Ego-Maschinen überfluten wollen – zumindest nicht dann, wenn diese Maschinen sich dazu in einem andauernden Zustand der Selbsttäuschung befinden müssten. Dies führt uns jedoch zu einem weiteren Problem: Alles, was wir über die Transparenz phänomenaler Zustände gelernt haben, zeigt deutlich, dass man »tatsächlichen Kontakt mit der Wirklichkeit« und »Gewissheit« ebenfalls simulieren kann und dass die Natur genau das längst getan hat, indem sie in unseren Gehirnen den Ego-Tunnel entstehen ließ. Denken wir bloß an halluzinierte Agentivität oder an das Phänomen des falschen Erwachens in der Traumforschung.Befinden wir uns vielleicht in einem Zustand andauernder Selbsttäuschung? Wenn es uns mit unserem eigenen Glück ernst ist und wenn wir nicht wollen, dass es einfach »bloß« hedonistisches Glück ist, dann müssen wir uns absolut sicher sein, dass wir uns nicht systematisch selbst täuschen. Wäre es nicht eine gute Sache, wenn eine neue, empirisch informierte Philosophie des Geistes und eine ethisch sensible Neurowissenschaft des Bewusstseins uns auch bei diesem Projekt unterstützen könnten?
Ich kehre zu meiner früheren Warnung zurück: Wir sollten alles unterlassen, was zu einer Erhöhung der Gesamtmenge des Leidens und der Verwirrung in der Welt führt. Ich will hier auf keinen Fall dafür argumentieren oder es als eine etablierte Tatsache hinstellen, dass bewusstes Erleben in seiner menschlichen Erscheinungsform etwas Negatives ist oder letztlich nicht im Interesse des Erlebnissubjekts liegt. Ich glaube, dass dies eine vollkommen sinnvolle, absolut relevante, aber auch eine offene Frage ist. Worum es mir aber geht, ist, dass wir keine künstlichen Ego-Maschinen erschaffen oder auf dem Umweg über die Auslösung einer Evolution zweiter Ordnung erzeugen sollten, und zwar deshalb nicht, weil wir uns an wenig mehr orientieren können als an dem Beispiel und der funktionalen Struktur unseres eigenen phänomenalen Geistes. Infolgedessen ist es wahrscheinlich, dass wir nicht nur eine Kopie unserer eigenen psychologischen Struktur erzeugen würden, sondern auch eine suboptimale Version derselben. Und ich weise noch einmal darauf hin, dass dies letztlich mit der Ethik des Risikos zu tun hat.
Wir sollten jedoch der tieferen Frage nicht ausweichen. Kann man für den phänomenologischen Pessimismus argumentieren? Wir könnten diesen Begriff mit Hilfe der These definieren, dass die Form des phänomenalen Erlebens, die durch das menschliche Gehirn erzeugt wird, kein Gewinn ist, sondern eine Last: Wenn man den Mittelwert über den Zeitraum eines ganzen Lebens hinweg bilden könnte, dann wäre das Gleichgewicht zwischen Freude und Leiden bei fast allen Wesen mit dieser Form von Bewusstsein in Richtung auf das Letztere verschoben – unsere bewusste Existenz wäre ein Geschäft, das nicht die Kosten deckt. Von Buddha bis Schopenhauergibt es eine lange philosophische Tradition, die im Wesentlichen postuliert, dass das Leben im Grunde nicht lebenswert ist. Ich werde die Argumente der Pessimisten hier nicht wiederholen, möchte aber darauf hinweisen, dass es jetzt eine neue Perspektive gibt, unter der man den uns bekannten Teil der physikalischen Welt und die Evolution des Bewusstseins betrachten kann: Nämlich als einen sich ausdehnenden Ozean des Leidens und der Verwirrung an einem Ort, wo es so etwas vorher nicht gegeben hat. Natürlich trifft es zu, dass bewusste Selbstmodelle auch zum ersten Mal das bewusste Erleben von Freude und Glück in die physikalische Welt brachten – eine Welt, in der vorher
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