Der einsame Baum - Covenant 05
mit dem Wächter aufnehmen? Mit ihm kämpfen? «
»Des Elohim Wort lautet«, erwiderte Brinn leise, »daß man am Wächter vorüber muß, um zum Einholzbaum zu gelangen. Mich dünkt's, selbiger Wächter ist kein anderer als ak-Haru Kenaustin Ardenol . Gelingt's mir, über ihn zu obsiegen, wird's uns beiden von Nutzen sein.«
»Und wenn's dir nicht gelingt?« Covenant bot gegen Brinns Leidenschaftslosigkeit alle Heftigkeit auf. »Ihr haltet euch ja sowieso schon für unwürdig. Was glaubst du, wieviel von der Art ihr noch aushalten könnt?«
Brinns Miene blieb unnachgiebig. »Dann werde ich die Wahrheit wissen. Wer die Wahrheit nicht wissen mag, ist in der Tat unwürdig.«
Covenant zog die Schultern ein. Sein kummervoller Blick fiel auf Linden, als ersuche er um Beistand. Linden durchschaute seinen Konflikt vollständig. Er fürchtete es, sich mit dem Wächter anzulegen, fürchtete die eigene Kapazität zum Zerstören. Aber er hatte nie gelernt, einen anderen seine Stelle einnehmen zu lassen, und wenn er sich noch so sehr fürchtete: die Tatsache seiner Furcht drängte ihn stärker zum Handeln als Mut. Und ihm lag an Rücksicht auf Seeträumer. Der stumme Riese verbarg noch immer sein Gesicht, als wären die Grenzen dessen überschritten, was man seiner Seele zumuten konnte.
Linden schwankte innerlich, hin- und hergerissen zwischen ihren inneren Widersprüchen. Gefühlsmäßig vertraute sie Seeträumer; aber das Anliegen, das Brinn dazu bewogen hatte, sich mit der bloßen Hand gegen das Schwert der Ersten durchzusetzen, rührte sie gleichfalls. Sie verstand die strenge Härte der Haruchai , verspürte den Wunsch, damit ihren Frieden zu machen. Aber sie vermochte nicht Seeträumers herzzerreißende Bemühungen zu vergessen, ihr über seine Visionen Aufschluß zu geben.
Die Erste und Pechnase standen nebeneinander, beobachteten Linden. Blankehans' Finger kneteten Seeträumers Schultern; aber auch seine Augen ruhten auf Linden. Covenants Blick schien sie regelrecht anzuflehen. Nur Brinn interessierte sich nicht für ihre Stellungnahme. Seine Aufmerksamkeit galt ausschließlich Covenant.
Völlig dazu außerstande, einfach ja oder nein zu sagen, versuchte Linden, einen anderen Weg aus dem Dilemma ausfindig zu machen. »Wir rudern schon schier die halbe Nacht durch den Nebel«, sagte sie zu Brinn, darum bemüht, ihre Stimme frei von Zittern zu halten, »und kommen der Insel nicht näher. Was glaubst du, wie du den Mann dort erreichen kannst, um mit ihm zu kämpfen?« Im nächsten Moment schrie sie auf. Anscheinend hatte Brinn ihre Frage als eine Art von Einwilligung aufgefaßt. Oder er hatte beschlossen, auf Covenants Genehmigung zu verzichten. Zu schnell, als daß man ihn noch hätte aufhalten können, sprang er zum Bug des Langboots und vollführte einen Sprung in die Richtung der Insel. Der Nebel verschlang ihn. Linden hörte das Klatschen, als Brinn ins Wasser tauchte, sah jedoch keine Wellen. Gleichzeitig mit Blankehans und Covenant stürzte sie nach vorn. Aber der Haruchai befand sich bereits außer Reichweite. Nicht einmal ein Schwimmgeräusch ließ sich hören.
»Verdammt noch mal!« brüllte Covenant. »Macht jetzt bloß keinen Unsinn!« Seine Stimme hallte und verklang in der höhlenartigen Umgebung aus Nebel.
Einen Moment lang, der dem stillen Verweilen an einer Totenbahre glich, sprach niemand ein Wort. »Blankehans«, sagte dann die Erste. Ihre Stimme klang eisenhart. »Seeträumer. Nun werdet ihr rudern, wie ihr noch nie gerudert habt. Wenn die Kraft von Riesen genügt, um's zu schaffen, so werden wir diese Insel erreichen.«
Eilig kehrte Blankehans an seinen Platz zwischen den Rudern zurück. Seeträumer dagegen reagierte langsamer. Linden sorgte sich, er fiele womöglich ganz aus, wäre viel zu tief in Entsetzen verfallen, um noch einsatzfähig zu sein. Linden riß sich zusammen, um bei der Ersten ein Wort für ihn einzulegen. Doch sie hatte ihn unterschätzt. Er senkte die Hände vom Gesicht, ballte sie zu Fäusten. Er schleppte sich an seinen Sitz, packte von neuem die Ruder. Indem er die Griffe umklammerte, als hätte er vor, sie zu zerdrücken, stieß er die Ruder ins Wasser, stemmte sich gegen die Fluten.
Aufgrund der Plötzlichkeit, mit der sich das Boot erneut in Bewegung setzte, geriet Linden ins Taumeln, fing sich an einer Ducht ab, ging dann nach vorn, an Covenants Seite.
Im ersten Moment konnte Blankehans mit dem nachgerade rasereiartigen Ruderschlag seines Bruders nicht gleichziehen.
Weitere Kostenlose Bücher