Der einsame Baum - Covenant 05
unter einem dichten Hagel von Hieben zusammen. Er mußte sich seitwärts über die Steine wälzen, so daß er sich ganz und gar die Haut aufriß, um den Bemühungen des Alten zu entgehen, ihm das Kreuz zu brechen.
Er konnte sich ihm nicht schnell genug entziehen. Der Wächter setzte ihm nach, während der Nebel einen neuen Schleier vor das Geschehen wehte, es mit seinem klammen Leuchten verhüllte.
»Ich muß ...« Unbewußt drosch Covenant mit den Fäusten auf den steinernen Bug des Langboots. Blut rann aus der gesprungenen Haut seiner Fingerknöchel. »Ich muß ihm helfen!« Aber jede Einzelheit der Haltung seiner Arme und Schultern verriet, daß er nicht wußte, wie.
Linden beherrschte sich, unterdrückte die Tränen, die ihr kommen wollten. Brinn konnte auf keinen Fall viel länger durchhalten. Er war bereits so erheblich verletzt, daß die Gefahr des Verblutens bestand. Wie sollte er weiterkämpfen können, wenn ihm mit jedem Moment, der verstrich, aus den Adern die Kräfte verrannen?
Als der Nebel sich zum letztenmal teilte, erhielten die Gefährten Aussicht auf eine Anhöhe hoch über der See. Linden mußte den Kopf in den Nacken legen, bevor sie den leicht abschüssigen Hang erkannte, der an einem steilen Abgrund endete. Die senkrechte Steilwand verhieß einen Sturz aus fürchterlicher Höhe.
Im folgenden Moment sah man Brinn. Der Greis drängte ihn rückwärts den Abhang hinunter, auf die Klippe zu. Brinn torkelte, als sei ihm mittlerweile alles Leben aus den Beinen gewichen. Sämtliche Kleidung war ihm herabgerissen; nichts als breite Schmierstreifen und Rinnsale von Blut kleideten ihn noch. Er vermochte kaum noch die Arme zu heben, um die Schläge, die ihn zum Rückzug zwangen, notdürftig abzuwehren.
Die Stofflichkeit und Sichtbarkeit des Wächters waren nun in vollem Umfang wiederhergestellt. Seine milchigen Augen glommen im Glanz des Nebels, während er Brinn mit Hieben und Tritten auf den Abgrund zutrieb. Seine Attacken trafen den Haruchai in einer Art von teigiger Geräuscharmut, die mehr besagte als das herkömmliche Klatschen von Fäusten auf Fleisch. Das Gewand umwallte seine Glieder, als bestünde das Wesen seiner Kraft aus der Farblosigkeit des Kleidungsstücks. Keine Andeutung, keine Spur irgendeines Ausdrucks veränderte seine gleichgültige Miene, während er sich anschickte, Brinn in den Tod zu stürzen.
Dann erreichte Brinn den Rand des Abgrunds. Von irgendwo aus seinem Innern brachte er noch einmal genug verzweifelte Kraft zu erneuter Gegenwehr auf. Mehrere Schläge trafen den Wächter, so daß er wankte, doch hinterließen sie an ihm keinerlei Male. Für einen Moment mußte der Greis zurückweichen.
Aber seine wiedererlangte Feststofflichkeit schien ihn um so geschickter und unüberwindlicher zu machen. Fast im Handumdrehen schlug er Brinns Gegenangriff ab. Mit Schlägen, die Blitzen aus Fleisch und Bein ähnlich waren, drängte er Brinn erneut an den Rand der Tiefe. Eine tückische, gegen Brinns Unterleib gezielte Finte veranlaßte die Arme des Haruchai zum Herabfahren. Sofort versetzte der Alte ihm mit der Wucht eines Hammers einen Faustschlag an die Stirn. Brinn taumelte dicht an den Abgrund, schwankte; begann zu fallen.
»Brinn!« Covenants Schrei durchdrang den Nebel wie ein Aufheulen der Verzweiflung.
Im selben Sekundenbruchteil, in dem er das Gleichgewicht verlor, blickte Brinn zu den entsetzten Zuschauern herab. Gleichzeitig verschob er seine Füße, wie um es ihm noch zu ermöglichen, seinen Sturz zu beeinflussen. Als er fiel, packten seine Hände zu. Seine Finger krallten sich ins Gewand des Alten. Während er sich dem Abgrund übergab, riß er den Wächter mit in die Tiefe.
Linden hockte sich auf die Ducht, kauerte sich zusammen. Sie hörte weder Seeträumers dumpfes Aufstöhnen noch Pechnases schmerzlich-verdutzten Ausruf, ebensowenig Cails Jubelschrei. Brinns Sturz schien sich ihrer Sinneswahrnehmung einzubrennen, machte sie für alles andere unempfänglich. Der Sturz wiederholte sich immerzu ihn ihr, so wie ihr Herzschlag. Brinn hatte sich für ihn entschieden.
Dann schrammte Fels gegen die Seite des Langboots; sein Bug prallte in den Zwischenraum zweier Felsbrocken. Durch den Anprall spritzte Wasser hoch auf. Linden und Covenant fielen gegeneinander. Indem sie sich unwillkürlich aneinanderklammerten, taumelten sie gemeinsam auf den Boden des Boots.
Als sie sich aufrichteten, hatte sich ringsherum alles verändert. Der Nebel war fort, und mit ihm waren die
Weitere Kostenlose Bücher