Der einsame Baum - Covenant 05
die Erste erneut eine gedämpfte Anweisung. Wieder hoben Blankehans und Seeträumer die Ruderstangen aus dem Wasser. Lautlos und in angespanntem Schweigen schwammen die Gefährten in ihrem Boot in den Nebel.
Augenblicklich verschwand der Himmel. Linden spürte die Berührung der klammen Helligkeit im Gesicht und zuckte auf, rechnete mit Gefahr oder irgendwelchen schädlichen Wirkungen. Doch ihre Sinne teilten ihr mit, daß die Kraft, die dem Nebel innewohnte, zu unbestimmt war, zu sehr wie Mondlicht, um schaden zu können – oder um sich überhaupt begreifen zu lassen. Ihre Begleiter konnte sie deutlich sehen; die See jedoch war unter einem dichten silbrigen Teppich verschwunden, und die Enden der Ruder befanden sich darin außer Sicht, als wären sie abgefressen worden.
In einer neuen Anwandlung von Besorgnis fragte sie sich, wie sie sich orientieren sollten. Doch sobald die Erste erneut den Mund öffnete, Blankehans und Seeträumer weiterzurudern befahl, bezeugte ihre Stimme eherne Gewißheit; und sie hielt die beiden Brüder wiederholt zu kleineren Kurskorrekturen an, als wäre ihr Richtungssinn nicht zu beirren.
Die Fahrt, die das Langboot machte, wehte Linden den Nebel spürbar ins Gesicht. Perlen vergänglichen Lichts setzten sich in Covenants Haar fest wie perlmuttener Schweiß seiner Not und Macht. Nach einer Weile fing der Nebel zu wirbeln an und teilte sich, erlaubte einen flüchtigen Ausblick auf den Höhenzug der Insel. Ehe die Lücke sich wieder schloß, sah Linden, daß die Erste die Richtung gänzlich zielsicher wies.
Pechnase begann zu sprechen. Seine Stimme zeugte von gewissen Schwierigkeiten beim Reden, als ob seine beengten Lungen sich mit Nebel und Nässe füllten. Er lobte Blankehans und Seeträumer für die Tüchtigkeit, mit der sie ruderten, würdigte ironisch Hohls Kaltschnäuzigkeit, beschrieb andere Arten von Nebeln, die er während seiner Seereisen gesehen hatte. Die Worte an sich hatten keine Bedeutung; es zählte nur, daß er sprach. Um seiner Gefährten und auch seiner selbst willen versuchte er, das Beklemmende des Nebels in menschliche Maßstäbe zu zwängen. Aber ein befremdlicher Nachhall begleitete seine Äußerungen, als wäre der Nebel eine Höhle. Schließlich flüsterte die Erste ihm gepreßt etwas zu. Er verstummte.
In nur vom Klatschen der Ruder durchbrochener Stille drang das Langboot immer tiefer in den Nebel vor. Allmählich nahm der Nebel den Charakter eines Traums an, in dem lange Zeitspannen mit unaufhaltsamer Schnelligkeit verstrichen. Das verwaschene Licht übte eine nahezu hypnotische Faszination aus. Von Covenants Kinn fielen wie winzige Kügelchen Wassertropfen, erzeugten auf seinem Gewand Flecken schwachen Schimmers. Lindens Gewand glomm wie von zahlreichen im Erlöschen begriffenen Edelsteinsplittern. Das Haar hing ihr in Strähnen ums Gesicht, dunkel von Feuchtigkeit.
Als der Nebel sich noch einmal etwas auflöste, noch einen zeitweiligen Ausblick hinüber zur Insel erlaubte, merkte Linden so gut wie gar nicht, daß die Felsen nicht näher waren als zuvor.
Blankehans und Seeträumer ruderten weiter; aber langsam atmeten die beiden immer mühsamer, von ihren Rücken und Schultern gingen Emanationen großer Anstrengung und Belastung aus. Sie machten Linden auf das Verstreichen der Zeit aufmerksam. Der Dunst und seine tranceähnliche Wirkung schienen die Hälfte der Nacht verschlungen zu haben. Linden schüttelte ihre Benommenheit ab, rieb sich die klamme Taubheit aus den Wangen. Sobald sich der Nebel das nächste Mal teilte, konnte sie die Insel deutlich erkennen. Das Langboot war in Wirklichkeit nicht im geringsten vorangekommen.
»Hölle und Verdammnis!« brauste Covenant auf. »Pest und Hölle!«
»Nun bin ich fürwahr verblüfft«, sagte Pechnase. »Diese Luft ...« Doch er fand keine geeigneten Worte.
Findail stand der Insel zugewandt. Sein Gesicht und die Haare waren trocken, vom Nebel unberührt. Er hatte die Arme auf der Brust verschränkt, als hätte er sich die See an Zipfeln unter die Achselhöhlen geklemmt. Die absichtsvolle Schärfe seines Blicks zeugte von Aufwand an Willenskraft. »Findail ...!« begann Linden. »In Gottes Namen, was treibst du hier eigentlich?«
In diesem Moment brach hinter dem Ernannten Gewalt aus. Brinn versuchte an Blankehans und Seeträumer vorbeizuspringen. Seeträumer grapschte nach ihm, hielt ihn fest. Beide fielen, indem sie um sich schlugen, auf den Boden des Boots. Blankehans zog seine Ruderstangen ins Boot,
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