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Der einsame Baum - Covenant 05

Der einsame Baum - Covenant 05

Titel: Der einsame Baum - Covenant 05 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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lagen hier keine verkohlten Leichname, keine gebleichten Gebeine? Nun gut, dann nicht des Todes, sondern der Vertilgung. Alle Hoffnung ganz einfach aus der Welt ausgelöscht. Der Sonnenschein lag rosig wie eine Lüge auf den harten Felsen. Ich verliere den Verstand.
    Er wußte nicht, was er tun sollte. Grabsteine säumten jeden Weg zu dieser Insel. Die Insel selbst ragte wie ein Gebirgsmassiv über die Gefährten auf, jäh und zerklüftet. Die Felsblöcke der Abhänge wimmelten für ihn von Verheißungen zahlloser Schwindelanfälle. Doch er hatte seine Entscheidung längst gefällt, obwohl sie ihm zuwider war – und er befürchtete, sie würde sich als falsch herausstellen, daß nach allem, was er durchgemacht hatte, daß trotz allem, was er noch durchzumachen bereit war, das einzige, was er noch für das Land tun konnte, darin bestand, daß er starb. Daß die Logik der vom Messerstich über seinem Herzen zurückgebliebenen Narbe sich nicht widerlegen ließ.
    Seine Stimme klang ihm in den eigenen Ohren entfernt und schwach, auf krankhafte Weise distanziert. Er war so verrückt wie der Haruchai . Ganz ausgeschlossen war es, über derartige Dinge zu reden, als wären sie nicht gräßlich. Weshalb klang seine Stimme nicht nach Entsetzen? Vor dir liegt der Weg zum Einholzbaum . Also stand der Baum tatsächlich hier, an dieser Stätte angehäuften Tods. Nicht ein Vogel belebte den Himmel mit seinem armseligen Dasein; auf den Felsen sah man kein Stück Tang, keine einzige Flechte. Es war Irrsinn, hier zu stehen und daherzureden, als ließen solche Dinge sich ohne weiteres verkraften.
    »Du bist nicht Brinn«, sagte er, in seiner Distanziertheit und Losgelöstheit wie von Sinnen. »Oder?« Seine Kehle wollte keinen anderen Namen aussprechen.
    Brinns Miene blieb unbeeindruckt. Vielleicht stand in seinen Augen ein Lächeln, im ersten Morgenlicht schwer zu erkennen. »Ich bin, der ich bin«, erwiderte er in gleichmäßigem Ton. »Ak-Haru Kenaustin Ardenol. Der Wächter des Einholzbaums. Brinn von den Haruchai . Und ich trage noch viele andere Namen. So erneuere ich mich von einem zum anderen Zeitalter, bis zum Ende.«
    Hohl regte sich nicht; aber Findail verbeugte sich, als wäre Brinn eine Persönlichkeit geworden, die sogar dem Elohim Respekt abforderte.
    »Nein«, sagte Covenant. Er konnte nicht anders. Brinn . »Nein.« Die Erste, Pechnase und Blankehans betrachteten den Haruchai aus Augen, die Entgeisterung widerspiegelten. Seeträumer nickte fortwährend, wie eine Puppe mit gebrochenem Hals. Irgendwie hatte Brinns Sieg Seeträumers Schicksal besiegelt. Indem er den Weg zum Einholzbaum freigekämpft hatte? Brinn .
    Brinns Blick war voller Wissen und Unumschränktheit. »Sei nicht betrübt, Ur-Lord.« Sein Tonfall brachte Leidenschaft und Selbstbeherrschung zum Ausdruck. »Obschon ich dir nicht länger dienen und dich ferner nicht begleiten kann, bin ich dem Leben und dem Dienst am Leben keineswegs entzogen. Nutzreiches wird entstehen, wenn's vonnöten ist.«
    »Erzähl mir bloß nicht so was!« Der Protest entfuhr Covenant wider Willen. Ich werde sterben. Oder mir wird das Herz brechen. »Glaubst du, ich kann's ertragen, dich zu verlieren?«
    »Du wirst's ertragen«, entgegnete die gefaßte Stimme des Haruchai . »Bist du nicht Thomas Covenant, Ur-Lord und Zweifler? Das ist die Gnade, welche dir zuteil geworden ist, zu tragen, was getragen werden muß.« Dann veränderte sich Brinns Miene ein wenig, als wäre auch er für Verlust nicht unempfänglich. »Cail wird meinen Platz an deiner Seite einnehmen, bis das Wort des Bluthüters Bannor erfüllt ist. Danach wird er dem Verlangen seines Herzens folgen.« Das morgendliche Licht erhellte Cails Gesicht und verlieh ihm einen vieldeutigen Ausdruck. »Ur-Lord, säume nicht!« fügte Brinn zum Schluß hinzu, wies hinauf zum von der Sonne beschienenen Gipfel. »Der Weg der Hoffnung und des Unheils steht dir offen.«
    Covenant fluchte vor sich hin. Er wirkte, als fehle ihm die Kraft zu lautstärkerem Schimpfen. Der kalte, klamme Nebel der Nacht stak ihm noch in den Knochen, trotzte der Wärme der Sonne. Covenant wollte toben und zetern, herumschreien wie ein Verrückter. So etwas hielt er jetzt für angebracht. Er hatte sich schon oft genug so verhalten – besonders im Umgang mit Bannor. Aber er war nicht dazu imstande. In Brinns Miene stand die Vollkommenheit, nach der Bannor nur gestrebt hatte. Unvermittelt setzte sich Covenant, fiel rücklings gegen einen Felsklotz und

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