Der Einsatz
Lippen wirkten fast feminin, aufgepumpt von Fett und Silikon, wie kleine Schlauchboote. Das ganze Gesicht schien ständig in Bewegung zu sein, als würden seine einzelnen Teile in verschiedene Richtungen auseinanderstreben. Überall sah manNarben, und das Ganze wirkte etwas geschwollen, als hätte der Mann sich erst vor kurzem einer weiteren Operation zur Neuanordnung seines Gesichts unterzogen.
Atwan trat auf den sonderbaren Gast zu und lächelte dabei wie ein Bauer, der sein preisgekröntes Schwein präsentiert. Er klopfte Al-Majnoun leicht auf die Schulter und drehte ihn dann ganz zu Harry hin.
«Mein lieber Harry, ich möchte Ihnen Kamal Hussein Sadr vorstellen. Al-Majnoun. Den Wahnsinnigen. Seinen Namen kannten Sie natürlich schon, doch sein Gesicht vermutlich nicht.» Er lachte leise, als handele es sich um einen gelungenen Privatscherz.
Harry ergriff Al-Majnouns ausgestreckte Hand. Die Fingerkuppen des Mannes fühlten sich an wie Schmirgelpapier, was an den jahrelangen Bemühungen liegen musste, jeden letzten identifizierbaren Rest seiner Fingerabdrücke zu beseitigen. Nachdem sie sich begrüßt hatten, bedeutete Atwan Al-Majnoun mit einer Kopfbewegung, in der Zimmerecke Platz zu nehmen.
«Dann sind Sie also nicht im Arsch», bemerkte Harry.
«So ist es.»
«Und meine Warnung war völlig überflüssig. Der Mann hat den Iran offensichtlich bereits verlassen.»
«Aber ja. Leibhaftig und mit allem, was dazugehört. Sie haben doch nicht ernsthaft geglaubt, dass ich so dumm sein könnte, meinen besten Mann den Iranern zu überlassen? Nach fast dreißig Jahren! Das wäre doch höchst unüberlegt gewesen. Nein, er hat das Land sofort verlassen, nachdem sein Auftrag erledigt war.»
«Sein Auftrag.» Harry ließ die Worte nachhallen undwiederholte sie dann noch einmal. «Sein Auftrag. Der unter anderem darin bestand, drei britische Geheimagenten zu töten, von unserem tapferen jungen Wissenschaftler ganz zu schweigen.»
«Zwei, mein Lieber», widersprach Atwan. «Nur zwei, es sei denn, Sie wollen den nichtswürdigen turkmenischen Fahrer mit dazuzählen. Für die anderen beiden kann ich nichts. Ich hatte Ihnen versprochen, dass ich versuchen würde, Ihren jungen Iraner wieder aus dem Land zu bringen, und ich habe mein Möglichstes getan, um Wort zu halten, das müssen Sie mir glauben. Außerdem wusste ich, dass unser lieber Freund Adrian ganz vernarrt in die junge Dame war, deshalb habe ich auch sie zu retten versucht. Doch leider ist nicht immer alles möglich, mein Lieber, selbst wenn wir unser Bestes dafür tun. Wer, wenn nicht Sie, sollte wissen, wovon ich spreche? Sie haben einen schweren Verlust erlitten, doch es ist grundfalsch, dass Sie sich deswegen Vorwürfe machen.»
Die Anspielung auf seinen Sohn ließ Harry zusammenzucken. Es war ihm zutiefst zuwider, dass Kamal Atwan glaubte, ihm in Anwesenheit eines Auftragskillers persönliche Ratschläge geben zu müssen. Doch er schwieg. Dass er fähig war, Herr der Lage zu bleiben, auch wenn es noch so sehr schmerzte und er den Mann da vor sich am liebsten mit bloßen Händen erwürgt hätte – das war seine beste Waffe.
«Es ist vorbei», sagte Harry.
«Und warum sollte es das sein, mein Lieber? In der Welt, in der wir uns bewegen, ist nichts jemals vorbei. Wie auch? Für ein richtiges Ende ist diese Welt doch viel zu ambivalent.»
«Die Iraner glauben aber, dass es vorbei ist.»
«Aber keineswegs. Mein lieber Harry, mir scheint, dass Sie noch nicht begriffen haben, worum es bei dieser Sache eigentlich geht. Die Iraner haben nicht die geringste Ahnung, was eigentlich los ist. Hören Sie sich doch nur einmal das Gerede an, das Ihre famose NSA da Tag für Tag abfängt, dann wird Ihnen das auch selbst klar. Der Mann dort drüben, dieser Mann in Schwarz mit den vielen Narben im Gesicht, gilt als Busenfreund des Obersten Führers. Glauben Sie wirklich, die Mullahs könnten sich auch nur den Gedanken erlauben, dass er die ganze Zeit – die ganze Zeit über! – an einem Komplott aus dem Ausland beteiligt war? Unmöglich! Das würde ja das ganze Gefüge zum Einsturz bringen. Der Oberste Führer selbst geriete unter Verdacht. Wer würde einen solchen Gedanken akzeptieren oder sich auch bloß damit auseinandersetzen? Es würde das Regime vernichten, mein Lieber, mit Stumpf und Stiel.»
«Das wäre doch gar nicht so schlecht», warf Harry ein.
«Ach, kommen Sie, werden Sie jetzt nicht romantisch. Sie hören sich an wie einer dieser Neokonservativen.
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