Wir beide nahmen die Muschel
Wie alles anfing... in Voosen
A m ersten
Dezember 2004 beendete ich mein Stress — und überstundenreiches Arbeitsleben.
Meinen Beruf hatte ich immer sehr gerne ausgeübt. Als sich jedoch die
Möglichkeit ergab mit sechzigeinhalb Jahren in Rente zu gehen, hatte ich sofort
zugegriffen. Ich hatte ja so viele Pläne für die Zeit danach. Mehrmals im Jahr
in Urlaub fahren, schöne Tagestouren mit dem Auto oder Fahrrad zu machen.
Leider hatte ich mir mit dem Dezember einen denkbar schlechten Monat
ausgesucht. Der Winter hatte begonnen, es war kalt und der erste Tag bescherte
mir schon sehr viel Regen. Wer wollte da schon raus an die frische Luft. Auch
die nächsten Tage brachten keine Besserung. Sehr schnell vermisste ich meine
Arbeitskollegen, mit denen ich 42 Jahre lang täglich zusammen gewesen war. Kein
Telefon läutete mehr alle paar Minuten, wie in all den Jahren zuvor. Keiner
wollte mehr eine Auskunft von mir oder einen Rat. Langsam stieg Angst in mir
auf. So lange hatte ich mich auf meine Pensionierung gefreut, so vieles wollte
ich verwirklichen, nun saß ich hier und wusste mit meiner Freizeit nichts
anzufangen. Hieß es gestern noch »ich habe keine Zeit«, so hatte ich jetzt zu
viel davon. Mein bester Freund wurde in den langen Wintertagen mein Computer.
Als absoluter Neuling in diesem Fach hatte ich mit ihm sehr oft große
Schwierigkeiten. Er wollte oft nicht so wie ich es wünschte. Damit vergingen
schon viele Monate. Als nächstes kam das Internet dazu. Nun konnte ich durch
die ganze Welt surfen. Viel zu viele Stunden habe ich so verbracht. Zum Essen
ging ich nur noch widerwillig, ich hatte doch vor mir ein herrliches
Süßigkeitenbüfett stehen. Alle meine guten Vorsätze hatte ich über den Haufen
geschmissen, Stunden- und Tagelang nur auf den Bildschirm gestarrt. Der Rücken
schmerzte vom vielen Sitzen und die Knochen wurden steif. Zu meinem Schrecken
stellte mein Internist bei mir auch noch einen viel zu hohe Zuckerspiegel fest.
Ich denke, dabei wird auch manches gute Glas Rotwein beigetragen haben. Auf mit
dir du fauler Knochen, so konnte es doch nicht weiter gehen. Ich wollte doch
raus in die Welt, meine Rentnerzeit genießen. Dies änderte sich für mich erst
im folgenden Jahr, als Klara und Manfred Mohren aus unserem Bekanntenkreis die
tolle Idee hatten, eine Fahrradgruppe zu gründen. Oft waren wir schon zusammen
mit den Rädern gefahren. Zuerst waren wir zu viert, dann kam sein
Triermitpilger Karl Neunkirchen mit seiner Frau Alwine dazu. Danach Margret und
Herbert, zum Schluss Käthe und Hartmund aus Beckrath. Wir hatten uns gesucht
und gefunden. Jeden Monat machten wir nun eine bis zu 40 km lange Fahrradtour.
Am schönsten wurde es wenn Karl, unser Ältester und Lustigster, sich mit
Manfred über frühere Trierpilgertouren unterhielt. Über manche lustige
Anekdoten der zwei haben wir oft recht herzlich lachen müssen. Karl kannten wir
nur mit guter Laune. Voller Spannung hörten wir oft zu, wenn er von seiner
Fußpilgertour zum Grab des Hl. Apostels Jakobus, von Saint-Jean-Pied-de-Port in
Frankreich bis nach Santiago de Compostela in Spanien erzählte. 800 km über
unzählige Berge, bei Wind und Wetter. Wie er diese Tour mit noch drei Männern
mit viel zu schwerem Gepäck in Frankreich begonnen hatte. Der erste Tag war
auch zugleich der Schwierigste gewesen. Nach einem sehr steilen Anstieg ging es
viele Kilometer nur hoch. Fast 1400 Höhenmeter mussten sie damals bewältigen.
Nur der Anfang war asphaltiert. Nachher ging es nur noch über unbefestigte,
manchmal sehr schlechte Wege. Oben angekommen ging es dann viel zu steil und
mit viel Rutschgefahr einen Geröllweg hinunter. Nach vielen Stunden und total
ausgelaugt von all ihren Kilos im Rucksack hatten sie damals ihre erste
Übernachtungsmöglichkeit in einem alten Kloster in Roncesvalles erreicht. Es
hätte dort einen sehr großen Schlafsaal für Männlein und Weiblein gegeben sagte
er, mit über 100 doppelstöckigen Betten, mit viel zu wenigen Waschmöglichkeiten
und Toiletten und zudem lag der Schlafsaal in einem ungeheizten Gewölbe. Dort
war es in der Nacht bitterkalt gewesen. »Wo habt ihr euch den gewaschen, wenn
es nur so wenige Möglichkeiten gab«, war meine Frage? »Du darfst das alles
nicht so eng sehen«, war seine Antwort. »Auf so einer Pilgertour geht es nicht
wie zuhause zu, ein Pilger darf auch einmal etwas streng riechen.« Auf diese
Antwort gab es dann von allen ein großes Gelächter. Zum Schlafen waren sie bei
all den
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