Der Einzige und sein Eigentum (German Edition)
die Zustände aus eigenem Interesse anders haben wollen, sich damit beschäftigen. Die »heilige Pflicht« wird nun und nimmermehr die Leute dazu bringen, über den Staat nachzudenken, so wenig als sie aus »heiliger Pflicht« Jünger der Wissenschaft, Künstler usw. werden. Der Egoismus allein kann sie dazu antreiben, und er wird es, sobald es viel schlechter geworden ist. Zeigtet Ihr den Leuten, daß ihr Egoismus die Beschäftigung mit dem Staatswesen fordere, so würdet Ihr sie nicht lange aufzurufen haben; appelliert Ihr hingegen an ihre Vaterlandsliebe u. dergl., so werdet Ihr lange zu diesem »Liebesdienste« tauben Herzen predigen. Freilich, in eurem Sinne werden sich die Egoisten überhaupt nicht am Staatswesen beteiligen.
Eine echt liberale Phrase bringt Nauwerk S. 16: »Der Mensch erfüllt erst damit vollständig seinen Beruf, daß er sich als Mitglied der Menschheit fühlt und weiß, und als solches wirksam ist. Der Einzelne kann die Idee des Menschentums nicht verwirklichen, wenn er sich nicht auf die ganze Menschheit stützt, nicht aus ihr wie Antäos seine Kräfte schöpft.
Ebendaselbst heißt es: „Die Beziehung des Menschen zur res publica wird von der theologischen Ansicht zur reinen Privatsache herabgewürdigt, wird somit hinweg geleugnet.« Als ob die politische Ansicht es mit der Religion anders machte! Da ist die Religion eine »Privatsache«.
Wenn statt der »heiligen Pflicht«, der »Bestimmung des Menschen«, des »Berufes zum vollen Menschentum« und ähnlicher Gebote den Leuten vorgehalten würde, daß ihr Eigennutz verkümmert werde, wenn sie im Staate Alles gehen lassen, wie's geht, so würden sie ohne Tiraden so angeredet, wie man sie im entscheidenden Augenblicke wird anreden müssen, wenn man seinen Zweck erreichen will. Stattdessen sagt der theologenfeindliche Verfasser: »Wenn irgendeine Zeit, so ist es auch die unsrige, in welcher der Staat auf alle die Seinigen Ansprüche macht. – Der denkende Mensch erblickt in der Beteiligung an der Theorie und Praxis des Staates eine Pflicht, eine der heiligsten Pflichten, welche ihm obliegen« – und zieht dann die »unbedingte Notwendigkeit, daß Jedermann sich am Staate beteilige«, näher in Betrachtung.
Politiker ist und bleibt in alle Ewigkeit der, welchem der Staat im Kopfe oder im Herzen oder in beiden sitzt, der vom Staate Besessene oder der Staatsgläubige .
»Der Staat ist das notwendigste Mittel für die vollständige Entwicklung der Menschheit.« Er ist's allerdings gewesen, solange Wir die Menschheit entwickeln wollten; wenn Wir aber Uns werden entwickeln wollen, kann er Uns nur ein Hemmungsmittel sein.
Kann man jetzt noch Staat und Volk reformieren und bessern? So wenig als den Adel, die Geistlichkeit, die Kirche usw.: man kann sie aufheben, vernichten, abschaffen, nicht reformieren. Kann Ich denn einen Unsinn durch Reformieren in Sinn verwandeln, oder muß [Ich] ihn geradezu fallen lassen?
Es ist fortan nicht mehr um den Staat (die Staatsverfassung usw.) zu tun, sondern um Mich. Damit versinken alle Fragen über Fürstenmacht, Konstitution usw. in ihren wahren Abgrund und ihr wahres Nichts. Ich, dieses Nichts, werde meine Schöpfungen aus Mir hervortreiben.
Zu dem Kapitel der Gesellschaft gehört auch »die Partei«, deren Lob man jüngst gesungen hat.
Im Staate gilt die Partei. »Partei, Partei, wer sollte sie nicht nehmen!« Der Einzelne aber ist einzig, kein Glied der Partei. Er vereinigt sich frei und trennt sich wieder frei. Die Partei ist nichts als ein Staat im Staate, und in diesem kleineren Bienenstaate soll dann ebenso wieder »Friede« herrschen, wie im größeren. Gerade diejenigen, welche am lautesten rufen, daß im Staate eine Opposition sein müsse, eifern gegen jede Uneinigkeit der Partei. Ein Beweis, wie auch sie nur einen – Staat wollen. Nicht am Staate, sondern am Einzigen zerscheitern alle Parteien.
Nichts hört man jetzt häufiger als die Ermahnung, seiner Partei treu zu bleiben, nichts verachten Parteimenschen so sehr als einen Parteigänger. Man muß mit seiner Partei durch dick und dünn laufen und ihre Hauptgrundsätze unbedingt gutheißen und vertreten. Ganz so schlimm wie mit geschlossenen Gesellschaften steht es zwar hier nicht, weil jene ihre Mitglieder an feste Gesetze oder Statuten binden (z. B. die Orden, die Gesellschaft Jesu usw.). Aber die Partei hört doch in demselben Augenblicke auf, Verein zu sein, wo sie gewisse Prinzipien bindend macht und sie vor Angriffen gesichert wissen
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