Der Einzige und sein Eigentum (German Edition)
bloß im Schlafe, sondern selbst im tiefsten Nachdenken gedanken- und sprachlos, ja dann gerade am meisten. Und nur durch diese Gedankenlosigkeit, diese verkannte »Gedankenfreiheit« oder Freiheit vom Gedanken bist Du dein eigen. Erst von ihr aus gelangst Du dazu, die Sprache als dein Eigentum zu verbrauchen.
Ist das Denken nicht mein Denken, so ist es bloß ein fortgesponnener Gedanke, ist Sklavenarbeit oder Arbeit eines »Dieners am Worte«. Für mein Denken ist nämlich der Anfang nicht ein Gedanke, sondern Ich, und darum bin Ich auch sein Ziel, wie denn sein ganzer Verlauf nur ein Verlauf meines Selbstgenusses ist; für das absolute oder freie Denken ist hingegen das Denken selbst der Anfang, und es quält sich damit, diesen Anfang als die äußerste »Abstraktion« (z. B. als Sein) aufzustellen. Ebendiese Abstraktion oder dieser Gedanke wird dann weiter ausgesponnen.
Das absolute Denken ist die Sache des menschlichen Geistes, und dieser ist ein heiliger Geist. Daher ist dies Denken Sache der Pfaffen, die »Sinn dafür haben«, Sinn für die »höchsten Interessen der Menschheit«, für »den Geist«.
Dem Gläubigen sind die Wahrheiten eine ausgemachte Sache, eine Tatsache; dem frei Denkenden eine Sache, die erst noch ausgemacht werden soll. Das absolute Denken sei noch so ungläubig, seine Ungläubigkeit hat ihre Schranken, und es bleibt doch ein Glaube an die Wahrheit, an den Geist, an die Idee und ihren endlichen Sieg: es sündigt nicht gegen den heiligen Geist. Alles Denken aber, das nicht gegen den heiligen Geist sündigt, ist Geister- oder Gespensterglaube.
Dem Denken kann ich so wenig entsagen, als dem Empfinden, der Tätigkeit des Geistes so wenig als der Sinnentätigkeit. Wie das Empfinden unser Sinn für die Dinge, so ist das Denken unser Sinn für die Wesen (Gedanken). Die Wesen haben ihr Dasein an allem Sinnlichen, besonders am Worte. Die Macht der Worte folgt auf die der Dinge: erst wird man durch die Rute bezwungen, hernach durch Überzeugung. Die Gewalt der Dinge überwindet unser Mut, unser Geist; gegen die Macht einer Überzeugung, also des Wortes, verliert selbst die Folter und das Schwert seine Übermacht und Kraft. Die Überzeugungsmenschen sind die pfäffischen, die jeder Lockung des Satans widerstehen.
Das Christentum nahm den Dingen dieser Welt nur ihre Unwiderstehlichkeit, machte Uns unabhängig von ihnen. Gleicherweise erhebe Ich Mich über die Wahrheiten und ihre Macht: Ich bin wie übersinnlich so überwahr. Die Wahrheiten sind vor Mir so gemein und so gleichgültig wie die Dinge, sie reißen Mich nicht hin und begeistern mich nicht. Da ist auch nicht Eine Wahrheit, nicht das Recht, nicht die Freiheit, die Menschlichkeit usw., die vor Mir Bestand hätte, und der ich mich unterwürfe. Sie sind Worte , nichts als Worte, wie dem Christen alle Dinge nichts als »eitle Dinge« sind. In den Worten und den Wahrheiten (jedes Wort ist eine Wahrheit, wie Hegel behauptet, daß man keine Lüge sagen könne) ist kein Heil für Mich, so wenig als für den Christen in den Dingen und Eitelkeiten. Wie Mich die Reichtümer dieser Welt nicht glücklich machen, so auch die Wahrheiten nicht. Die Versuchungsgeschichte spielt jetzt nicht mehr der Satan, sondern der Geist, und dieser verführt nicht durch die Dinge dieser Welt, sondern durch die Gedanken derselben, durch den »Glanz der Idee«.
Neben den weltlichen Gütern müssen auch alle heiligen Güter entwertet hingestellt werden.
Wahrheiten sind Phrasen, Redensarten, Worte (λόγος); in Zusammenhang oder in Reih' und Glied gebracht, bilden sie die Logik, die Wissenschaft, die Philosophie.
Zum Denken und Sprechen brauche Ich die Wahrheiten und Worte, wie zum Essen die Speisen; ohne sie kann Ich nicht denken noch sprechen. Die Wahrheiten sind der Menschen Gedanken, in Worten niedergelegt und deshalb ebenso vorhanden, wie andere Dinge, obgleich nur für den Geist oder das Denken vorhanden. Sie sind Menschensatzungen und menschliche Geschöpfe, und wenn man sie auch für göttliche Offenbarungen ausgibt, so bleibt ihnen doch die Eigenschaft der Fremdheit für Mich, ja als meine eigenen Geschöpfe sind sie nach dem Schöpfungsakte Mir bereits entfremdet.
Der Christenmensch ist der Denkgläubige, der an die Oberherrschaft der Gedanken glaubt und Gedanken, sogenannte »Prinzipien« zur Herrschaft bringen will. Zwar prüft Mancher die Gedanken und wählt keinen derselben ohne Kritik zu seinem Herrn, aber er gleicht darin dem Hunde, der die Leute
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