Der Einzige und sein Eigentum (German Edition)
Gedanken zu lassen; dann schweige Ich. Glaubt Ihr, die Gedanken flögen so vogelfrei umher, daß sich Jeder welche holen dürfte, die er dann als sein untastbares Eigentum gegen Mich geltend machte? Was umherfliegt, ist alles – mein.
Glaubt Ihr, eure Gedanken hättet Ihr für Euch und brauchtet sie vor keinem zu verantworten, oder, wie Ihr auch wohl sagt, Ihr hättet darüber nur Gott Rechenschaft abzulegen? Nein, eure großen und kleinen Gedanken gehören Mir, und Ich behandle sie nach meinem Gefallen.
Eigen ist Mir der Gedanke erst, wenn Ich ihn jeden Augenblick in Todesgefahr zu bringen kein Bedenken trage, wenn Ich seinen Verlust nicht als einen Verlust für Mich , einen Verlust Meiner, zu fürchten habe. Mein eigen ist der Gedanke erst dann, wenn Ich zwar ihn, er aber niemals Mich unterjochen kann, nie Mich fanatisiert, zum Werkzeug seiner Realisation macht.
Also Gedankenfreiheit existiert, wenn Ich alle möglichen Gedanken haben kann; Eigentum aber werden die Gedanken erst dadurch, daß sie nicht zu Herren werden können. In der Zeit der Gedankenfreiheit herrschen Gedanken (Ideen); bringe Ich's aber zum Gedankeneigentum, so verhalten sie sich als meine Kreaturen.
Wäre die Hierarchie nicht so ins Innere gedrungen, daß sie den Menschen allen Mut benahm, freie, d. h. Gott vielleicht mißfällige Gedanken zu verfolgen, so müßte man Gedankenfreiheit für ein ebenso leeres Wort ansehen, wie etwa eine Verdauungsfreiheit.
Nach der Meinung der Zünftigen wird Mir der Gedanke gegeben , nach der der Freidenker suche Ich den Gedanken. Dort ist die Wahrheit bereits gefunden und vorhanden, nur muß Ich sie vom Geber derselben durch Gnade – empfangen; hier ist die Wahrheit zu suchen und mein in der Zukunft liegendes Ziel, nach welchem Ich zu rennen habe.
In beiden Fällen liegt die Wahrheit (der wahre Gedanke) außer Mir, und Ich trachte ihn zu bekommen , sei es durch Geschenk (Gnade), sei es durch Erwerb (eigenes Verdienst). Also l) Die Wahrheit ist ein Privilegium , 2) Nein, der Weg zu ihr ist Allen patent , und weder die Bibel, noch der heilige Vater, oder die Kirche oder wer sonst ist im Besitz der Wahrheit; aber man kann ihren Besitz – erspekulieren.
Beide, das sieht man, sind eigentumslos in Beziehung auf die Wahrheit: sie haben sie entweder als Lehen (denn der »heilige Vater« z. B. ist kein Einziger; als Einziger ist er dieser Sixtus, Clemens usw., aber als Sixtus, Clemens usw. hat er die Wahrheit nicht, sondern als »heiliger Vater«, d. h. als ein Geist), oder als Ideal. Als Lehen ist sie nur für Wenige (Privilegierte), als Ideal für Alle (Patentierte).
Gedankenfreiheit hat also den Sinn, daß Wir zwar alle im Dunkel und auf den Wegen des Irrtums wandeln, Jeder aber auf diesem Wege sich der Wahrheit nähern könne und mithin auf dem rechten Wege sei (»Jede Straße führt nach Rom, ans Ende der Welt usw.«). Gedankenfreiheit bedeutet daher so viel, daß Mir der wahre Gedanke nicht eigen sei; denn wäre er dies, wie wollte man Mich von ihm abschließen?
Das Denken ist ganz frei geworden, und hat eine Menge von Wahrheiten aufgestellt, denen Ich Mich fügen muß. Es sucht sich zu einem System zu vollenden und zu einer absoluten »Verfassung« zu bringen. Im Staate z. B. sucht es etwa nach der Idee so lange, bis es den »Vernunft-Staat« herausgebracht hat, in welchem Ich Mir's dann recht sein lassen muß; im Menschen (der Anthropologie) so lange, bis es »den Menschen gefunden hat«.
Der Denkende unterscheidet sich vom Glaubenden nur dadurch, daß er viel mehr glaubt als dieser, der sich seinerseits bei seinem Glauben (Glaubensartikel) viel weniger denkt. Der Denkende hat tausend Glaubenssätze, wo der Gläubige mit wenigen auskommt; aber jener bringt in seine Sätze Zusammenhang und nimmt wiederum den Zusammenhang für den Maßstab ihrer Würdigung. Paßt ihm einer oder der andere nicht in seinen Kram, so wirft er ihn hinaus.
Die Denkenden laufen in ihren Aussprüchen den Gläubigen parallel. Statt: »Wenn es aus Gott ist, werdet Ihr's nicht tilgen«, heißt's: »Wenn es aus der Wahrheit ist, wahr ist«; statt: »Gebt Gott die Ehre« – »Gebt der Wahrheit die Ehre«. Es gilt Mir aber sehr gleich, ob Gott oder die Wahrheit siegt; zuvörderst will Ich siegen.
Wie soll übrigens innerhalb des Staates oder der Gesellschaft eine »unbeschränkte Freiheit« denkbar sein? Es kann der Staat wohl Einen gegen den Andern schützen, aber sich selbst darf er doch nicht durch eine ungemessene Freiheit,
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