Der Elefanten-Tempel
Inmitten der Büsche und Bäume tauchte ein Holzhaus auf, das von meterhohen Stelzen getragen wurde – mühelos hätte ein Elefant darunter gepasst. Anscheinend spazierte hier auch öfter mal einer herum, denn die Erde unter dem Haus war festgestampft von riesigen Füßen. Für die Menschen standen ein paar alte Gartenstühle aus angerostetem Metall herum, und hinter dem Haus sah Ricarda einen kleinen, mit einem Elektrozaun gesicherten Gemüsegarten. Daneben hing ein brandneuer signalroter Feuerlöscher.
»Unser Haus – hier wir wohnen, die Familie«, erklärte Kaeo. »Die Mahouts wohnen in anderen Hütten, sie haben auch einen eigenen Koch. Bei ihnenbekommt ihr etwas zu essen gerne, aber auch im Haupthaus. Die Übungsgelände sind weiter drüben, die ich zeige euch später.«
»Wo sind die Elefanten jetzt gerade?«, fragte Sofia, denn nirgendwo waren Dickhäuter in Sicht.
Kaeo deutete zu einem Fußpfad, der mitten ins grüne Gebüsch hineinzuführen schien. »Baden am Fluss. Kommen später heim.«
Kaum zwanzig Schritt vom Haus entfernt ragte ein riesiger Feigenbaum auf und breitete seine üppig grünen Zweige über das Dach. Sein verschlungener Stamm wirkte wie die fließenden Gewänder einer Menschenfrau, die für irgendeinen Frevel in einen Baum verwandelt worden war. In welchem Märchen hatte sie so etwas schon einmal gelesen?
Gleich neben dem riesigen Baum stand ein winziges rot und gelb angemaltes Häuschen auf einem Pfahl. Es war prachtvoll geschnitzt und sah aus wie ein Tempel von der Größe eines Puppenhäuschens. Blumengirlanden schmückten es und auch ein paar Porzellanschalen fanden darauf Platz.
»Was ist das, ein Luxus-Vogelhäuschen?«, fragte Sofia neugierig und ging näher heran.
Kaeo sah einen Moment lang verwirrt aus, bis das Lächeln auf sein Gesicht zurückkehrte. » San phra phuum . Ein Geisterhäuschen. Wenn ein Haus gebaut wird, brauchen die Geister der Erde und der Luft einen neuen Ort, wo sie wohnen können. Wir bringen ihnen Gaben.« Er deutete auf die Schälchen. »Danndie Geister sind zufrieden und wachen über uns.« Kaeo setzte das Gepäck ab, zog eine Flasche Cola aus seinem Rucksack hervor und goss eine der Opferschalen voll. Respektvoll verbeugte er sich mit gefalteten Händen vor dem Häuschen. Dann erst schulterte er die Sachen wieder.
»Thailändische Geister mögen amerikanische Limonade?« Ricarda staunte.
»Bestimmt. Mein Onkel Fon sogar hat dem Erdgeist Chao Thi mal eine Flasche Whisky geopfert. Hatte ihm das versprochen, wenn Chao Thi ihm hilft eine Wette zu gewinnen. Er hat gewonnen die Wette und hat gehalten sein Versprechen.«
Als sie weitergingen, flüsterte Sofia ihr ins Ohr: »O Mann, da bin ich ja voll ins Fettnäpfchen getreten. Ich sage nur: Vogelhäuschen! Meinst du, er ist jetzt sauer auf mich?«
Ricarda dachte nach. Kein Zweifel, das mit den Geistern war für Kaeo eine todernste Angelegenheit. Vielleicht hatten die Amulette um seinen Hals etwas damit zu tun. »Bestimmt nicht – er hat ja wieder gelächelt.«
»Ja, aber das tun die Thais doch anscheinend die ganze Zeit.«
Einen Steinwurf vom Haupthaus entfernt war eine Lichtung, eine Art zentraler Versammlungsort, etwa so groß wie ein Sportplatz. Ricardas Sandalen wirbelten hellen Lehmstaub auf, als sie ihn überquerten. An den Seiten des Platzes gab es einige offeneElefanten-Unterstände, die nur aus einem zerzausten Schilf- oder Strohdach und ein paar dicken Baumstämmen als Stützen bestanden. Etwas weiter entfernt, halb hinter Bäumen versteckt, sichtete Ricarda Pferche, die ähnlich aussahen wie Pferdekoppeln – nur dass die Pfähle und Querbalken sehr viel dicker waren. Ob das einen Elefanten aufhielt, der unbedingt rauswollte?
Nach ein paar Minuten Fußweg durch den Wald kamen sie zu einfachen, auf niedrigen Stelzen stehenden Bambushütten, von denen jede eine umlaufende Veranda aus roh gezimmerten Ästen hatte. Das waren vermutlich die Hütten der Mahouts .
»Sind eigentlich noch andere Freiwillige hier?«, wollte Sofia neugierig wissen.
Kaeo schüttelte den Kopf. »Nicht zurzeit. Meist sind nur zwei oder vier hier gleichzeitig. Die anderen sind am Samstag abgereist.«
»Welche Hütte ist unsere?«, fragte Ricarda gespannt und Kaeo zeigte auf eine, die um einen Baum herum gebaut worden war. Ricarda war begeistert. Sie strich über die länglichen glänzend grünen Blätter, schaute an dem Stamm hoch und stellte fest, dass an den Zweigen Mangos hingen. Manche noch grün und unreif,
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