Der Elefanten-Tempel
fütterten, sie durch den Dschungel führten.
Der Akku des Laptops war fast leer. Ricarda stand auf und ging in die Küche, um sich etwas zu trinken zu holen. Sie fühlte sich wie nach einem Sprint, wach und lebendig und atemlos. Wie das wohl wäre? In Thailand?
Genial, gab sie sich selbst die Antwort. Das wäre einfach genial.
Severin wühlte gerade im Kühlschrank, anscheinend hatte er mal wieder eine seiner mitternächtlichen Fressattacken. Ricarda sah zu, was er an Beute so alles hervorzog – ein großes Stück Gouda und ein paar Mini-Salamis. Kauend lehnte er sich an die Küchenzeile, seine Augen schätzten sie ab. »Na? Was machst du gerade mit deinem Goldschatz?«
Ricarda mochte es nicht, wenn er sie so ansah. So gönnerhaft, fast herablassend. Und dabei war sie zweiJahre älter als er! »Ich werde in Thailand bei einem Elefantenprojekt mithelfen«, entfuhr es ihr. Erschrocken lauschte sie den Worten nach, hatte sie das eben wirklich gesagt?
Severin hörte auf zu kauen. Ein kleines Stück Salami hing an seinem Mundwinkel. »Äh, wie bitte?«
»Hab gerade was im Internet entdeckt«, sagte Ricarda und ärgerte sich, weil es so entschuldigend klang. »Man kann als Helfer dabei sein, mit Elefanten arbeiten. Ist gar nicht so teuer.«
Jetzt sah Severin nicht mehr herablassend aus, sondern einfach nur noch ungläubig. »Prima, das ist schön, aber jetzt mal im Ernst, du ?«
Ricarda antwortete nicht, drehte sich einfach um und ging in ihr Zimmer zurück.
Du.
Kurz darauf hörte sie im Erdgeschoss die Tür klappen, die tiefe, immer etwas heisere Stimme ihres Vaters mischte sich mit der ihrer Mutter. Severin hatte es auch mitbekommen, er rumorte hektisch in seinem Zimmer, fuhr wahrscheinlich schnell den Computer herunter – erst später, wenn alle schliefen, würde er ihn wieder anmachen.
Ricarda horchte in sich hinein. Ja, da war sie, die Sehnsucht, es fühlte sich an wie ein Ziehen im Bauch. Sie stellte sich vor, wie es wäre, dort in Thailand. Mit diesen gewaltigen, sanften Tieren zusammen zu sein, ganz nah, ganz vertraut. Doch es war auch ein bisschen so, wie von einer Karriere als Popstar oder Modelzu träumen. Fern. Unwirklich. Als Traum ganz toll, aber in Wirklichkeit?
Der Gedanke, sich allein in Asien durchschlagen zu müssen, war der pure Horror. Lilly, eine ihrer besten Freundinnen, hatte so was gemacht, sie war in den Sommerferien nach Namibia geflogen, um dort vier Wochen lang Geparden zu betreuen. Doch Lilly war ganz anders – total chaotisch, aber mutig, sie fand nichts dabei, sich einfach in so eine Sache reinzustürzen.
Mit Gedanken an Thailand im Kopf schlief Ricarda ein.
Und stellte fest, dass sie noch da waren, als sie aufwachte.
Doch das normale Leben ging weiter. Ricarda übte Querflöte und verzweifelte fast an einer schwierigen Stelle von Bachs C-Dur-Sonate. Severin lieh sich ihren Taschenrechner und schloss sich in seinem Zimmer ein, weil er die letzte Mathearbeit verhauen hatte. Jemand ließ in der Schule die Luft aus den Reifen aller Fahrräder und wurde erwischt, als er es am nächsten Tag wieder versuchte. Sofia feierte ihren 17. Geburtstag im Jugendzentrum, mit fast vierzig Freunden, einer Disco-Kugel und dröhnenden Bässen. Ricarda fühlte sich ein bisschen eingeschüchtert von der übermütigen Menge – Wahnsinn, wie viele Leute Sofia kannte! – und überreichte Sofia in einem halbwegs ruhigen Moment ihr Geschenk, ein T-Shirt, das sie selbst am Computer entworfen hatte. Tagelang hattesie an dem Design gebastelt und dafür ein Foto von Sofia bei einer ihrer Mofa-Fahrstunden verfremdet.
»Das ist total cool geworden«, sagte Sofia und drückte Ricarda so fest, dass ihr fast die Luft wegblieb. »Ziehe ich gleich morgen in der Schule an!«
Das vergaß sie zwar, aber dafür trug sie das T-Shirt, als sie sich am Tag danach bei Ricarda zum Pizzabacken und DVD-Gucken trafen. Zusammen kneteten sie Teigfladen und erfanden wilde Rezepte für den Belag.
»Kein Zweifel, ich bin die schrecklichste Köchin der Welt«, stöhnte Sofia und schob ihre Scheibe mit dem Kokos-Rosinen-Tomaten-Belag weg.
»Bist du gar nicht.« Sofort schnitt Ricarda ihre eigene Pizza in der Mitte durch und reichte Sofia die eine Hälfte rüber. »Hier, du kannst was von mir abhaben. Äh, wenn dir Basilikum-Mozzarella mit Pinienkernen schmeckt.«
»Klingt toll, von der wollte ich sowieso probieren.«
»Alles, was sich als nicht essbar erweist, dient einem guten Zweck, ich nehme es für Hermine mit«,
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