Der Elefanten-Tempel
respektvoll beiseite.
Ruang drückte Sofia und Ricarda Schaufeln in die Hände, und Minuten später waren sie eifrig dabei, mit den anderen Mahouts Futter abzuladen. Ricarda mochte den saftigen Geruch der frisch geschnittenen Pflanzen, und es tat gut, sich zu bewegen, mit den Händen zu arbeiten.
»Wie viel frisst jeder Elefant pro Tag?«, fragte sie Kaeo.
»Je nach Größe – die Kühe etwa achtzig Kilo, die Bullen bis zu zweihundert Kilo.«
»Zweihundert Kilo?« Ricarda blieb der Mund offenstehen. Ihr dämmerte, dass sie noch öfter unterwegs sein würde, um Futter für die Tiere zu besorgen.
Kurz darauf zerriss ein lautes Knattern den Frieden, ein schlammbespritztes kleines Motorrad holperte die Einfahrt hoch und zwei Jugendliche stiegen herunter: ein etwa sechzehnjähriges Mädchen und ein etwa neunjähriger Junge, der einen Kopf kleiner war als sie und langbeinig wie ein Fohlen. Mit seinem runden Kindergesicht staunte er die Fremden an, und Ricarda hätte ihn am liebsten spontan an sich gedrückt. So mussten kleine Brüder sein, nicht wie Severin!
Das Mädchen trug zu einem Pferdeschwanz zurückgebundene Haare und eine brave Schuluniform – weiße Bluse mit dunkelblauem Blazer darüber, weiß-blau-karierter Rock, weiße Söckchen. Gut, dass wir so was nicht anziehen müssen, dachte Ricarda und fragte sich, wer das Mädchen war. Arbeitete es auch hier?
Das Mädchen warf nur einen kurzen Blick auf die Neuen und turnte dann die Treppe zum Haupthaus hoch. Kurz darauf kam sie im T-Shirt und einer weiten knöchellangen Hose wieder zum Vorschein. Jetzt konnte Ricarda einen genaueren Blick auf sie werfen. Sie hatte lange, glänzende schwarze Haare und ein etwas eckiges Gesicht mit ausgeprägten Backenknochen und einer breiten Nase.
»Hey, you!«, rief sie ihnen zu, während sie eine Kiste mit Obst vom Gepäckträger des Mopeds lud. Sie lächelte breit und zeigte dabei eine kleine Lücke zwischen ihren Vorderzähnen. »Zwei Farang bei uns, wieschön. Great. Ihr seid die beiden aus Deutschland, oder?«
Sofia lächelte genauso breit zurück und Ricarda versuchte es ebenfalls. Wenn das so weiterging, würden sie sich noch die Mundwinkel ausrenken.
»Ich bin Chanida, und das ist nong Tao, mein kleiner Bruder. He, wollt ihr euch ein bisschen beliebt machen bei euren Elefanten?«
»Haben wir denn welche?« Sofia zog die Augenbrauen hoch und lächelte.
»Oh, Por hat euch das noch nicht erklärt … na ja, mai pen rai, macht nichts, kommt einfach mit.« Sie warf Sofia eine braun verfärbte Ananas zu. »Hier, nimm das, Mae Jai Di ist ganz wild danach.«
Wie sich herausstellte, war Mae Jai Di die Elefantin, die Sofia in den nächsten beiden Wochen betreuen sollte. »Die ist richtig nett«, berichtete Chanida. »Sehr sanft. Kälber liebt sie; wenn eins geboren wird, ist sie sofort zur Stelle und bietet ihre Dienste als Tante an.«
Neugierig stand Chanidas kleiner Bruder neben ihr und sagte kein Wort, verstand er überhaupt Englisch?
»Bis vor Kurzem musste sie bei einem Trekkingunternehmen schuften, obwohl sie trächtig ist«, fuhr Chanida fort. »Keine Rücksicht, den ganzen Tag den Berg rauf und runter, mit so einem blöden howdah , einem Gestell auf dem Rücken! Dadurch hat sie Rückenprobleme bekommen.«
»Äh, trächtig – das heißt doch schwanger, oder?« Ratlos betrachteten Ricarda und Sofia die Elefantin.Sie war keineswegs kugelrund, nicht einmal besonders dick sah sie aus.
»Sieht man bei Elefanten erst ganz zum Schluss. Aber man kann es testen. Mit dem Pipi. Wie heißt das noch mal in Englisch? Ach, egal. Hier!« Chanida drückte Ricarda eine matschige Mango in die Hand. »Und das ist für deine neue Freundin. Daeng. Sie musste in Bangkok betteln, ehe wir sie rausgeholt haben. Übrigens ist sie erst zwölf, fast noch ein Kind.«
Die Mango war sehr, sehr klebrig und es liefen ein paar Ameisen darauf herum. Ricarda schaute sich nach einem Eimer Wasser um, in dem sie sich nachher die Hände waschen konnte. Sie überlegte, ob sie Chanida gestehen sollte, dass sie einen dieser Bettelelefanten gefüttert hatte. Doch eine Sekunde später platzte schon Sofia damit heraus.
Chanida blickte grimmig drein. »Das Betteln in Bangkok ist inzwischen verboten, und das ist gut so. Aber manche Mahouts riskieren es trotzdem. Wenn die Polizei sie erwischt, passiert nicht viel, dann werden sie einfach aus der Stadt geworfen.«
»Elefantenwerfen? Ist das eine eurer Sportarten?« Sofia blickte todernst drein. »Da braucht
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