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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Brijs
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Söhne nicht zu viel von seiner Persönlichkeit geerbt hätten.
    »Frau Maenhout …«
    Die Pause, die er entstehen ließ, war vielsagend, sie spitzte die Ohren.
    »Da ist noch etwas. Mit ihrer Gesundheit«, sagte er knapp.
    Wenn er gesagt hätte, mit ihrer eigenen Gesundheit sei etwas nicht in Ordnung, wäre sie kaum bestürzter gewesen. Sie hatte sich selbst schon gefragt, was wohl mit den Kindern los war, aber diese Neuigkeit war trotzdem schockierend. Und nicht nur die Eröffnung an sich traf sie unangenehm, sondern auch, dass der Doktor erst jetzt damit herausrückte.
    »Es ist nichts Ernstes«, sagte er, »ich behalte die Sache im Auge, aber ich hielt es doch für besser, wenn Sie auch Bescheid wissen. Deshalb müssen die Kinder nämlich vorläufig auch drinnen bleiben.«
    »Das hätten Sie mir doch vorher …«, setzte sie an, wurde aber von der Türklingel unterbrochen.
    »Da ist schon der erste Patient«, sagte der Doktor schnell. »Ich muss anfangen. Und Sie bitte auch.«
    Er drehte sich um , lief in einem Bogen um sie herum und verließ das Zimmer. Es war fast schon eine Flucht, und wieder blieb sie perplex zurück.
    »Kommen Sie, Frau Maenhout?«, hörte sie seine Stimme.
    Ich mache das nicht, dachte sie, ich darf das nicht machen.
    Missmutig stiefelte sie aus dem Raum.
    »Herr Doktor«, sagte sie, »ich …«
    »Guten Tag, Frau Maenhout«, sagte jemand.
    Irma Nussbaum nickte ihr vom Ende des Ganges aus zu. Kurz zuvor hatte sie sie noch von gegenüber beobachtet, wie Charlotte Maenhout durchaus bemerkt hatte.
    »Sie passen auf die Kinder vom Herrn Doktor auf, Frau Maenhout?«, fragte Irma.
    Der freundliche Tonfall hatte gekünstelt geklungen. Der Doktor blieb zwischen den beiden Frauen stehen, als müsse er bei einem Duell für einen ordnungsgemäßen Ablauf sorgen.
    »Ja, Frau Nussbaum«, antwortete Charlotte Maenhout, ohne eine Miene zu verziehen. »Der Doktor hat mich darum gebeten, und ich werde es tun.« Sie drehte sich um und ging in Richtung Küche.
    In den ersten Wochen hatte Charlotte Maenhout nichts gemerkt von der Intelligenz der Kinder, im Gegenteil, sie waren sehr distanziert geblieben und hatten keinen Ton von sich gegeben. Deshalb hatte sie mit der Zeit immer mehr geglaubt, sie wären alle drei geistig zurückgeblieben, das musste der Doktor wohl gemeint haben, als er sagte, ihnen fehle etwas. Zweifellos schämte er sich dafür.
    Aber langsam waren Michael, Gabriel und Raphael aufgetaut. Offenbar hatten sie sich tatsächlich nur erst an sie gewöhnen müssen. Sie hatte wohl erst das Vertrauen der Kinder gewinnen müssen. Dabei hatte sie nichts Besonderes getan, außer dass sie immer nett geblieben war und vor allem geduldig, wobei Letzteres am schwierigsten gewesen war. Manchmal war sie kurz davor gewesen, die Kinder eins nach dem anderen durchzuschütteln, um ihnen zumindest irgendeine Gefühlsregung zu entlocken. Zum Glück hatte sie sich aber zurückgehalten, denn eines Tages, als in der Napoleonstraße wieder einmal eine Schlange von Autos und Bussen auf dem Weg zum Dreiländereck stand, hatte es einen Umschwung gegeben. Sie hatte Michael auf den Arm genommen, um durch das Fenster die im Stau stehenden Fahrzeuge anzugucken, und auf einmal hatte der Kleine gerufen: »Au-o!« Und unmittelbar danach hatte einer der anderen beiden in ihrem Rücken »A-i« von sich gegeben. Später hatte der Doktor gesagt, sein Sohn habe wahrscheinlich »Taxi« gemeint, denn in einem solchen waren sie vor einigen Monaten von Bonn nach Wolfheim gereist. Sie war vor Staunen ganz platt gewesen.
    Danach war es schnell gegangen. Ihr Wortschatz war entweder vorher schon groß gewesen oder nun rapide gewachsen, denn in den darauffolgenden Tagen gaben die drei weitere Worte von sich, wobei sie einander ständig ergänzten und nachsprachen. Manchmal schien es fast, als spielten die Kinder ein Spiel, Wenn sie mit ihnen Früchtebrei zubereitete, zählten sie beispielsweise in einem fort verschiedene Obstsorten auf, immer auf Französisch, denn sie hatten bereits begriffen, dass Französisch zu Frau Maenhout gehörte. Weil sie noch so klein waren und außerdem wie ihr Vater wegen ihrer Hasenscharte Probleme mit der Aussprache hatten, waren sie mitunter schwer zu verstehen. Aber Hauptsache, sie begriff, was die Kleinen sagen wollten.
    Schon bald hatten die Kinder einen neuen Beweis ihrer Begabung geliefert. Genau wie der Doktor sie gebeten hatte, hatte sie jeden Abend vor dem Schlafengehen auf Niederländisch über das

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