Der Engelmacher
ihre Korbtasche war voll, unter anderem mit Papiertaschentüchern, Talkumpuder und einer Packung Windeln.
Nach und nach hatte Frau Maenhout dem Doktor die Haushaltsführung immer mehr abgenommen. Jedes Mal, wenn sie zu den Kindern kam, machte sie nach Möglichkeit auch ein bisschen sauber, kochte etwas und erledigte die Wäsche. Die Sachen zum Bügeln nahm sie sowieso mit nach Hause. Nicht, dass der Doktor sie darum gebeten hätte. Sie tat es aus eigenem Antrieb, vor allem für die Kinder, die sowieso schon zu oft dreckige Sachen anhatten und deren Ernährung in ihren Augen nicht ausgewogen genug war. Der Doktor hatte meistens Konserven aufgewärmt oder Fertiggerichte auf den Tisch gebracht.
Martha fing an, die Beträge in die Kasse einzutippen.
»Wann nimmst du die Kinder denn mal mit? Man bekommt sie ja nie zu Gesicht«, sagte sie.
»Dafür sind sie noch ein bisschen zu klein, Martha.«
»Zu klein? Sie sind doch jetzt schon ein Jahr, oder?«
»Seit Samstag.«
»Seit Samstag? Dem 29. September?«
»Ja, genau.«
»Oh, dann sind sie ja an ihrem Namenstag zur Welt gekommen.«
Frau Maenhout sah die Verkäuferin erstaunt an.
»Der 29. September«, sagte Martha, »ist der Namenstag des Heiligen Michael, Gabriel und Raphael.«
»Ach ja? Das wusste ich gar nicht.«
»Mein Mann hieß Michel. Darum weiß ich das. Dann hat der Herr Doktor seine Kinder vielleicht deshalb so genannt.«
»Das wäre dann aber ein außergewöhnlicher Zufall.«
»Zufall gibt es nicht«, sagte die Verkäuferin mit erhobenem Finger. »Aber sag mal, dann haben die Kinder doch bestimmt schön gefeiert, oder?«
Frau Maenhout nickte und wandte das Gesicht ab, weil sie merkte, dass sie rot wurde. Sie hätte eigentlich ruhig die Wahrheit sagen können, aber ihr war noch immer unwohl bei dem Gedanken daran, dass der Doktor sie weggeschickt hatte, als sie an jenem Samstagabend mit einer Tasche voll Geschenken angekommen war, unter anderem mit ein paar Bilderbüchern. Seine Kinder seien sehr krank, hatte Doktor Hoppe gesagt, und er habe beschlossen, sie für den Rest des Wochenendes in einem sterilen Raum von der Umwelt abzuschirmen. Er benutzte das Wort Quarantäne, das einen unheimlichen Beiklang hatte. Auf die Frage, was ihnen denn fehle – am Abend zuvor waren sie alle drei noch putzmunter gewesen –, hatte er geantwortet, mitten in der Nacht sei ihnen übel geworden, und er sei noch dabei, sie zu untersuchen.
Es war das erste Mal, dass sie alle drei gleichzeitig krank waren. Es war schon öfter vorgekommen, dass der Doktor eins der Kinder in einem Extrazimmer untergebracht hatte, hauptsächlich als Vorsichtsmaßnahme, weil er irgendwelche Krankheitssymptome bemerkt hatte: einen geröteten Hals, leichten Husten, Gewichtsverlust oder verdächtige Flecken auf der Haut. Für einige Stunden musste das Kind dann in einem sterilen Raum bleiben, der neben dem Sprechzimmer lag und vom Doktor auch als Labor und als Vorratslager für Medikamente genutzt wurde.
Sie fand dieses Vorgehen merkwürdig, aber mit welchem Recht sollte sie schon die Kompetenz des Doktors in Zweifel ziehen? Außerdem waren Michael, Raphael und Gabriel jedes Mal, wenn sie eine Weile isoliert gewesen waren, wieder gesund zurückgekommen.
Gesund war allerdings nicht ganz der richtige Ausdruck, denn es schien ein chronisches Leiden zu sein, das ihnen zu schaffen machte. Nur war Frau Maenhout noch nicht dahintergekommen, was es genau war. Der Doktor äußerte sich immer nur sehr undeutlich dazu, als wollte er nicht zugeben, dass er es eigentlich auch nicht wusste. Er sprach über die Krankheit der Kinder mit Ausdrücken, die sie nicht verstand, und sagte ansonsten immer, er beschäftige sich noch mit der Angelegenheit. Ein einziges Mal hatte sie angeregt, einen Spezialisten zu Rate zu ziehen, aber da war der Doktor so beleidigt gewesen, dass sie seither lieber nichts mehr dazu sagte.
»Andere haben keine Ahnung davon«, hatte er gesagt und verstimmt das Zimmer verlassen.
Am Schlimmsten fand sie eigentlich, dass sie nicht wusste, wie die Krankheit der Kinder sich äußerte bzw. äußern würde. Sie wurden schnell müde, und körperliche Berührungen waren ihnen leicht zu viel, aber ihr war nichts aufgefallen, was auf eine ernsthafte Erkrankung hingewiesen hätte.
»Worauf muss ich denn achten?«, hatte sie Doktor Hoppe am Anfang noch gefragt.
»Das wird sich schon zeigen«, hatte er geantwortet, aber immer wenn einem der Kinder etwas zu fehlen schien, leitete sie aus seiner
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