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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Brijs
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Handlungsweise ab, dass er eigentlich auch nur raten konnte.
    Die Stimme von Martha Bollen riss Frau Maenhout aus ihren Gedanken.
    »Und wie ist es mit ihren Sprachkenntnissen?«, fragte die Verkäuferin. »Rosette Bayer hat erzählt, dass sie jetzt auch schon Niederländisch sprechen. Sie hat sie ein Lied singen hören auf Niederländisch.«
    »Singen ist noch kein Sprechen, Martha. Du musst nicht alles glauben, was die Leute erzählen. Die Kinder sprechen mir halt ab und zu etwas nach.«
    Bewusst verdrehte sie die Tatsachen. Sie hatte schon gemerkt, dass es immer nur Eifersucht und Unglauben hervorrief, wenn sie von der erstaunlichen Sprachbegabung der Drillinge erzählte. Die Leute dachten dann immer, sie wolle vor allem mit ihren eigenen Verdiensten angeben.
    »Aber es sind schon ziemlich schlaue Kerlchen, oder?«
    »Das haben sie von ihrem Vater.«
    »Na, zum Glück«, entgegnete Martha in gedämpftem Tonfall. »Nicht auszudenken, wenn sie lediglich sein Äußeres geerbt hätten. Wie geht es dem Herrn Doktor denn so?«
    »Viel Arbeit. Die Leute denken alle, er könnte Wunder wirken.«
    »Das kann er doch auch. Letzte Woche hat er Freddy Machon von seiner ewigen Gicht erlöst. Fünf Spritzen, und er war geheilt. Der Doktor hat ihm gesagt, das Zeug würde in Deutschland schon lange eingesetzt. Weißt du was? Hier in Belgien steckt die Medizin noch in den Kinderschuhen. Schade, dass der Herr Doktor nicht schon früher gekommen ist. Vielleicht hätte er unseren Michel auch noch heilen können.«
    »Da darfst du jetzt nicht mehr drüber nachdenken, Martha. Vorbei ist vorbei. Wie viel macht das?«
    Martha überflog den Kassenbon, um zu kontrollieren, ob alles drauf stand, und sagte schließlich: »Alles zusammen neunhundertzwanzig Francs, bitte.«
    Frau Maenhout holte einen 1000-Francs-Schein aus dem Portemonnaie und legte ihn der Verkäuferin in die fleischige Hand. Nachdem sie das Wechselgeld weggesteckt hatte, wandte sie sich zum Gehen, das Einkaufswägelchen hinter sich her ziehend.
    »Richtest du dem Herrn Doktor viele Grüße von mir aus?«, rief Martha ihr noch nach.
    Sie zog die Tür des Ladens hinter sich zu und überquerte die Straße. Die Plastikräder des Einkaufswägelchens machten auf dem Kopfsteinpflaster ein klapperndes Geräusch, wodurch Frau Maenhout die Aufmerksamkeit der drei Jungen auf sich zog, die auf dem Dorfplatz spielten und ihr nun zuwinkten. Sie erkannte Fritz Meekers, Robert Chevalier und den tauben Gunther Weber, dem sie einige Jahre lang wöchentlich Sprechunterricht gegeben hatte, weil seine Eltern keinen Logopäden bezahlen konnten. Das Ergebnis hatte sie nicht zufrieden gestellt, aber immerhin konnte er sich verständlich machen, und offenbar machte er große Fortschritte, seit er letztes Jahr auf eine spezielle Schule in Lüttich gekommen war.
    Sie winkte zurück und ging zügig weiter, angespornt von der Kirchturmuhr, die gerade sechs Uhr schlug. Es war inzwischen schon wieder über zwei Tage her, seit sie die Drillinge gesehen hatte. Wie immer hatte sie das ganze Wochenende neben dem Telefon gesessen, in der Hoffnung, Doktor Hoppe würde sie anrufen und bitten, auf die Kinder aufzupassen, wenn er für einen Notfall außer Haus musste. Aber offenbar war niemandem im Dorf etwas Ernsthaftes zugestoßen – was sie sich fast schon gewünscht hatte, wie sie sich selbst beschämt eingestehen musste –, also hatte sie umsonst gewartet und sich immer mehr Sorgen um den Zustand der kranken Kinder gemacht.
    Und auch am heutigen Morgen waren sie nicht zu sehen gewesen. Es gehe ihnen schon viel besser, sie schliefen aber noch, hatte der Doktor gesagt. Er wollte warten, bis sie von selbst aufwachten, also hatte sie ein bisschen aufgeräumt und sauber gemacht, während sie mit spitzen Ohren auf die Stimmen der drei Kinder gelauscht hatte. Doch als sie wieder nach Hause gegangen war, hatten sie noch immer geschlafen. Dem Doktor zufolge, den sie etwa um drei Uhr nachmittags angerufen hatte, waren sie schließlich um halb zwei wach geworden, und diese Mitteilung hatte sie sehr beruhigt.
    Als sie nun am Tor klingelte, verklang über den Dächern von Wolfheim gerade der Nachhall des Glockenschlags von sechs Uhr. Sehnsüchtig spähte sie durch die Gitterstäbe hindurch zu den vorderen Fenstern, um zu sehen, ob Doktor Hoppe vielleicht schon mit einem der Kinder auf dem Arm Ausschau hielt. Aber das war leider nicht der Fall.
    Sie hing inzwischen an den Kindern, und umgekehrt schienen diese ihre

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