Der Engelmörder - Spindler, E: Engelmörder
Kindern die Täter in der eigenen Familie. Dass es viel seltener fremde Menschen waren, die ein Kind ermordeten, war für Cops eine traurige Realität, mit der sie sich abfinden mussten.
Dennoch wussten sie beide, dass diesmal die Chancen äußerst gering waren, einem Fall von häuslicher Gewalt auf die Spur zu kommen. Das hier war das Werk des Unbekannten, der schon einmal getötet hatte. Und der vielleicht wieder töten würde.
„So wie beim letzten Mal sieht es danach aus, dass er durchs Fenster eingedrungen ist“, erklärte er.
„War es nicht verschlossen?“
„Sieht nicht danach aus. Das Glas ist heil, und am Rahmen sind keine Spuren zu finden. Snowe sagt, sie werden sich das ganze Fenster vornehmen.“
„Fußabdrücke auf der anderen Seite?“ Kitt stellte ihre Fragen automatisch. Es hatte seit einer Woche nicht geregnet, der Boden vor dem Fenster würde knochentrocken sein.
„Nichts. Das Fliegengitter wurde feinsäuberlich aufgeschnitten.“
Sie legte eine Hand in den Nacken. „Was hat das zu bedeuten, Brian? Was will er uns damit sagen?“
„Dass er ein kranker Drecksack ist, dem man bei lebendigem Leib die Haut abziehen sollte.“
„Und davon abgesehen? Wieso das Lipgloss? Und das teure Nachthemd? Und warum diese kleinen Mädchen?“
Aus dem Nebenzimmer war auf einmal ein lautes Schluchzen zu hören, das Kitt viel zu naheging.
Wie sollte sie ohne Sadie weiterleben?
Brian sah sie an, seine Miene war vor Zorn wie versteinert. „Ich habe auch Töchter. Wenn ich mir vorstelle, ich würde eines Morgens aufwachen und dann …“ Er ließ den Satz unvollendet und drückte stattdessen seine Finger durch, bis sie knackten. „Wir müssen diesen Bastard schnellstmöglich dingfest machen.“
„Das werden wir auch“, murmelte Kitt mit zusammengebissenen Zähnen. „Und wenn es das Letzte ist, was ich tue, aber ich werde den Hurensohn zur Strecke bringen.“
TEIL ZWEI
3. KAPITEL
Rockford, Illinois
Dienstag, 7. März 2006
8:10 Uhr
Das schrille Klingeln des Telefons ließ Kitt hochschrecken, die am Abend zuvor eine Schlaftablette genommen hatte. Sie suchte nach dem Telefon, fand es und ließ zweimal beinahe den Hörer fallen, bis sie ihn endlich am Ohr hatte. „Hm?“
„Kitt, hier ist Brian. Beweg deinen Hintern aus dem Bett.“
Sie blinzelte in die Sonne, die durch die Jalousie ins Zimmer fiel und in ihren Augen schmerzte. Ihr Blick wanderte zum Wecker, und als sie die Uhrzeit sah, setzte sie sich widerwillig auf.
Offenbar hatte sie den Wecker abgestellt.
Einen Moment lang schaute sie auf Joes Seite des Betts und wunderte sich, warum er sie nicht geweckt hatte, doch dann kehrte die Erinnerung zurück. Auch nach mittlerweile drei Jahren kam es ihr immer noch so vor, als sei er ganz in ihrer Nähe.
Kein Ehemann, kein Kind.
Jetzt war sie ganz allein.
„Was verschafft mir denn die Ehre, so früh aus dem Schlaf gerissen zu werden, Lieutenant Spillare?“, meinte sie, während sie versuchte, den letzten Rest von Müdigkeit abzuschütteln. „Muss ja schon was wirklich Weltbewegendes sein.“
„Der Bastard ist wieder da. Weltbewegend genug?“
Sie wusste sofort, wer mit dem Bastard gemeint war: der Engelmörder. Der Fall, den sie völlig vergebens mit solcherBesessenheit verfolgt hatte, dass sie darüber beinahe ihre Karriere und ihr Leben zerstört hätte.
„Aber was …?“
„Ein totes kleines Mädchen. Ich bin bereits am Tatort.“
Ihr schlimmster Albtraum.
Nach fünf Jahren Pause hatte der Engelmörder wieder zugeschlagen.
„Wer bearbeitet den Fall?“
„Riggio und White.“
„Wo?“
Er nannte ihr die Adresse des Tatorts. Der lag in einem Arbeiterviertel von Rockford, einer Gegend, die schon bessere Zeiten erlebt hatte.
„Kitt?“
„Ja?“ Sie war inzwischen aufgestanden und suchte ihre Kleidung zusammen.
„Geh es behutsam an. Riggio ist …“
„… etwas schwierig?“
„Sie mag es bloß nicht, wenn sich jemand in einen ihrer Fälle einmischt.“
„Schon verstanden, mein Freund … danke.“
4. KAPITEL
Dienstag, 7. März 2006
8:25 Uhr
Detective Mary Catherine Riggio, die von allen – bis auf ihre Mutter – nur M.C. genannt wurde, drehte sich um und nickte Lieutenant Spillare zu, als der an den Tatort zurückkehrte. Keiner der anderen anwesenden Kollegen wäre angesichts dieser knappen Geste auf den Gedanken gekommen, die beiden verbinde mehr als nur ihre dienstliche Beziehung. In Wahrheit gab es da aber eine kurze, Hals über Kopf begonnene Affäre
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