Der Engelsturm
tut gut, euch alle hier zu sehen. Noch einen Trinkspruch! Auf die Schar des Prinzen! Ich wünschte, Josua wäre bei uns, aber ich weiß, dass er die Ehre zu schätzen weiß, wo immer er sich befindet.« Die anderen, längst in das Geheimnis eingeweiht, lachten.
Tiamak stand auf. »Nun … tatsächlich bringe ich Nachricht von … einem fernen Freund. Er sendet die allerbesten Grüße und teilt mit, dass er, seine Gemahlin und die Kinder wohlauf sind.« Beifällige Rufe begrüßten die Botschaft.
Unvermittelt erhob sich, leicht schwankend, auch Isgrimnur.
»Und wir wollen auch nicht vergessen, auf alle die anderen zu trinken, die kämpften und fielen, damit wir heute hier sitzen können!«, rief er. »Auf alle.« Seine Stimme war nicht ganz fest. »Möge Gott ihre Seelen zu sich nehmen. Wir wollen sie nie vergessen!«
»Amen!«, riefen viele. Als der Beifall verstummte, herrschte einen langen Augenblick Schweigen.
»Trinkt nun aus«, gebot Miriamel, »aber trinkt euch nicht um den Verstand, denn Sangfugol hat versprochen, uns mit einem neuen Lied zu erfreuen.«
»Und Jeremias wird es singen. Er hat fleißig geübt.« Der Harfner sah sich um. »Ich weiß nur nicht, wo er steckt. Es ist ärgerlich, wenn der Sänger nicht vorbereitet ist.«
»Ihr meint, dass es Sänger gibt, die sich vorbereiten?«
Isgrimnur lachte und schnitt eine Grimasse geheuchelter Furcht, als Sangfugol drohend einen Brotkanten nach ihm schwenkte.
»Wenn Ihr keine tauben Steine anstatt der Ohren habt«, bemerkte der Harfner mit einer gewissen Frostigkeit, »dann dürft Ihr auch solche Scherze machen.«
In der Halle herrschte wieder Fröhlichkeit und allgemeine Unterhaltung, als Jeremias hinter Simon trat und ihm etwas ins Ohr flüsterte.
»Gut«, sagte Simon. »Ich freue mich, dass er gekommen ist. Aber was machst du hier, Jeremias? Du sollst nicht herumhüpfen wie ein Diener, sondern wir hoffen, dass du uns nachher etwas vorsingst. Setz dich sofort hier hin. Miriamel wird dich mit Wein versorgen.« Er stand auf und zwang den widerstrebenden Jeremias in seinen Stuhl. Dann ging er zur Tür.
In der Eingangshalle erwartete ihn ein Mann mit düsterem Gesicht und dunklem Pferdeschwanz, noch in Reisekleidern und Mantel.
»Graf Eolair.« Simon ging ihm entgegen und drückte seine Hand.
»Ich hatte gehofft, Ihr würdet kommen. Wie war Eure Reise?«
Eolair betrachtete ihn so scharf, als hätte er ihn noch nie gesehen. Dann beugte er das Knie. »Nicht schlecht, König Seoman. Die Straßen sind immer noch nicht gut, und die Reise ist lang, aber man braucht sich kaum noch vor Räubern zu fürchten. Es tut mir gut, einmal von Hernysadharc wegzukommen. Aber Ihr wisst selbst, was ein Wiederaufbau bedeutet.«
»Nennt mich Simon, bitte. Wie geht es Königin Inahwen?«
Eolair nickte mit einem kleinen Lächeln. »Sie sendet Euch ihre Grüße. Aber ich denke, ich singe dieses Lied weiter, wenn es auch Königin Miriamel und die anderen vernehmen können – im Thronsaal, wie es sich gehört.« Plötzlich blickte er auf. »Und wenn wir gerade von Thronen sprechen – ist es richtig, dass ich draußen im Hof den Drachenbeinthron bestaunen konnte? Ganz mit Efeu bewachsen?«
Simon lachte. »Draußen, wo jeder ihn sehen kann. Fürchtet nicht um ihn – ein wenig Wind und Feuchtigkeit werden diesen Knochen nichts anhaben. Sie sind härter als Stein. Aber weder Miriamel noch ich könnten es ertragen, auf diesem Gebilde zu sitzen.«
»Ein paar Kinder spielten darauf.« Eolair schüttelte verwundert den Kopf. »Ich hätte nie geglaubt, dass ich das einmal erleben würde.«
»Für die Burgkinder ist er nur etwas zum Herumklettern. Zuerst hatten sie allerdings etwas Angst.« Er streckte die Hand aus. »Kommt, begleitet mich hinein, damit Ihr etwas zu trinken und zu essen bekommt.«
Eolair zögerte. »Vielleicht wäre es besser, wenn Ihr ein Bett für mich hättet. Es war ein langer Ritt.«
Jetzt war Simon an der Reihe, den andern sorgfältig zu mustern. »Dann vergebt mir, wenn ich zu unpassender Gelegenheit rede«, sagte er, »aber ich weiß schon lange etwas, das Ihr erfahren solltet. Ich hätte damit gewartet, bis wir uns länger miteinander unterhalten haben, aber vielleicht sage ich es Euch am besten gleich.« Er holte Atem. »Ich bin Maegwin begegnet, bevor sie starb. Wusstet Ihr das? Aber das Seltsame daran war, dass wir in Wirklichkeit viele Meilen voneinander entfernt waren.«
»Ich wusste etwas davon«, entgegnete der Graf von Nad Mullach.
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