Der Erdbeerpfluecker
halten wie einen Vogel, dem man das Singen verboten hat?
Am späten Nachmittag hatten wir unsere Liste fast abgearbeitet. Wir beschlossen, nach Hause zu fahren, um die Katzen zu versorgen und uns ein bisschen auszuruhen, bevor wir uns am Abend aufmachen wollten, um ein paar Jazzlokale und Diskos zu besuchen.
Wir beschränkten uns nicht auf Bröhl, denn die Stadt war Caro immer zu eng gewesen. Sie hatte weite Kreise gezogen. Nicht zum ersten Mal war ich dankbar für meinen Renault. Auch ohne Klimaanlage brachte er uns bequemer an Ort und Stelle als Bus oder Bahn.
Die Katzen waren wach. Sie hatten den Napf leer gefressen. Eine hatte neben das Katzenklo gepinkelt. ßngstlich kauerten sie in der Nische zwischen Badewanne und Duschkabine.
Ich machte sauber und stellte ihnen Fleisch und Trockenfutter hin. Sie beobachteten mich genau, wichen aber jedes Mal zurück, wenn ich die Hand nach ihnen ausstreckte.
»Sie sind verstört«, sagte Merle und schob zwei Pizzabaguettes in den Backofen. »Kein Wunder, bei dem, was sie durchgemacht haben. Wollen wir sie nicht behalten?«
Daran hatte ich auch schon gedacht. Es wurde immer schwieriger, ein Zuhause für all die Katzen, Hunde, Meerschweinchen, Ratten und Mäuse zu finden, die Merle und ihre Gruppe retteten.
»Ich finde, eine Katze gibt dem Alltag so ein gewisses Etwas.« Merle goss Sahne in eine kleine Schale und brachte sie ins Bad. Ich ging ihr nach und sah ihr über die Schulter. Von ihr ließen sich die Katzen anfassen, zwar immer noch sehr misstrauisch und scheu, aber sie wichen nicht aus. Alle Tiere mochten Merle.
»Nichts dagegen«, sagte ich.
Es klingelte und ich drückte auf den Türöffner. Schon am Klang seiner Schritte erkannte ich ihn. Er nahm immer zwei Stufen auf einmal. Ganz außer Atem kam er oben an.
»Ist eine echte sportliche Herausforderung, so eine Treppe«, sagte er.
Ich führte ihn in die Küche. Wir boten ihm einen Kaffee an, doch er lehnte ab. »Ich wollte mich nur mal erkundigen, wie es Ihnen geht«, sagte er.
»Ohne Hintergedanken?«, fragte Merle argwöhnisch.
»Natürlich nicht«, sagte ich. »Wetten?« Ich war erschöpft und gereizt und irgendwas an der Art, wie dieser Kommissar uns ansah, gefiel mir nicht, weil es mir ein schlechtes Gewissen machte.
»Sie sind hoffentlich von dem Gedanken abgekommen, Caros Mörder zu suchen?«, fragte er direkt.
»Nein«, sagte Merle. »Sind wir nicht.«
»Und? Irgendwelche Neuigkeiten, die Sie uns vorenthalten haben?«, fragte er.
»Bis jetzt nicht«, sagte ich. Das, was wir von Anita erfahren hatten, war noch so vage, dass die Polizei es nicht unbedingt wissen musste.
»Hat es irgendeinen Sinn, Sie noch einmal auf die Gefahr hinzuweisen, in der Sie sich befinden, wenn der Mörder Ihre Drohung gehört hat und ernst nimmt?«
Wir schüttelten den Kopf.
»Ich könnte Sie beobachten lassen«, sagte er. »Um zu verhindern, dass Sie der Polizei ins Handwerk pfuschen.«
Vielleicht tat er das sogar schon? Wir würden ab jetzt darauf achten, ob uns jemand folgte.
»Es ist nicht zufällig so, dass meine Mutter hinter Ihrem Besuch steckt?«, fragte ich.
Sein Schweigen und die Tatsache, dass er meinem Blick auswich, sprachen Bände. Doch bevor ich mich aufregen konnte, waren die Baguettes fertig. Merle holte sie aus dem Ofen. »Essen Sie mit?«, fragte sie.
»Nein. Trotzdem danke für die Einladung.«
Ich brachte ihn zur Tür. Auf dem Treppenabsatz drehte er sich noch einmal um.
»Passen Sie auf sich auf! Und machen Sie nicht den Fehler, den Mörder zu unterschätzen. Meine Karte habe ich Ihnen auf den Tisch gelegt. Sie können mich jederzeit anrufen, wenn Sie mich brauchen. Haben Sie gehört? Jederzeit.«
Ich hörte seine Schritte leiser werden und verschwinden. Eigentlich war er doch ganz nett, dieser Kommissar. Ich schloss die Tür und ging in die Küche zurück.
»Seine Karte.« Ich hielt sie hoch.
»Scheiß drauf«, sagte Merle.
Aber ich warf sie nicht weg. Ich lehnte sie ans Telefon. Man konnte nie wissen.
Imke empfand den Besuch ihrer Mutter als Geschenk. Zum ersten Mal seit langer Zeit fiel kein böses Wort zwischen ihnen. Das war so ungewöhnlich und unerwartet, dass Imke vor Rührung nasse Augen bekam. »Du hast mir sehr geholfen«, sagte sie. »Danke.«
»Hör auf, dich ständig zu bedanken.« Ihre Mutter wedelte mit ihrer fleischigen, beringten Hand in der Luft herum. »Du würdest es umgekehrt genauso machen.«
Hoffentlich, dachte Imke. Die Rolle der Seelentrösterin
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