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Der Erdbeerpfluecker

Der Erdbeerpfluecker

Titel: Der Erdbeerpfluecker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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wir wären die Ersten, so hatten wir uns gründlich getäuscht. Der Parkplatz war überfüllt mit Wagen, die in der Sonne glänzten. Vor der Trauerhalle standen die Leute in kleinen Gruppen. Die meisten waren schwarz gekleidet. Hier und da sah man einen weiߟen oder bunten Tupfer wie eine Blüte aufleuchten.
    Fast die gesamte Jahrgangsstufe war da. Und Mellenböck, unser Stufenlehrer.
    »Ausgerechnet«, flüsterte Merle. »Hat er Caro nicht schon genug angetan?«
    Mellenböck unterrichtete Physik. Falls er dazu kam, denn meistens wurde in seinen Kursen Kuchen gegessen, den wir mitbringen mussten, wenn wir die Hausaufgaben oder unser Buch vergessen hatten.
    In Mellenböcks Augen war jemand wie Caro ein Mensch zweiter Klasse, und er hatte ihr das offen gezeigt. Jedes Mal, wenn Caro an der Reihe gewesen war, einen Kuchen mitzubringen, hatte sie für Mellenböck ein spezielles Stück ausgesucht und draufgespuckt.
    Wir beachteten ihn nicht, betraten die Trauerhalle und setzten uns in die zweite Reihe.
    Der Sarg stand in einem Meer von Blumen und Kränzen. Er war aus Eichenholz und sah mit seinen kalten Scharnieren streng und grausam aus. Daran änderte auch das Gesteck aus weiߟen Rosen nichts, das ihn zu einem groߟen Teil bedeckte. Zwischen den Blumensträuߟen und Kränzen waren Kerzenständer aufgestellt. Die Flammen flackerten in der Zugluft.
    Man hatte den Raum abgedunkelt, und es war, als hätte man mit dem Sonnenlicht das Leben ausgesperrt.
    Caro war tot. Aber sie war eine Sonnenanbeterin gewesen. Dunkelheit hatte sie traurig gemacht. Sie hatte sie immer mit dem Licht von Kerzen vertrieben.
    Das hier hätte sie trotz der Kerzen nicht gemocht. Die Blumen rochen nach Tod. Das Kerzenlicht strahlte keine Behaglichkeit aus. Das ganze Arrangement war von einer kühlen Andacht, die einem die Kehle zuschnürte.
    »Ich steh das nicht durch«, flüsterte Merle.
    »Doch. Du wirst.« Ich hörte selbst, dass meine Worte nicht ermutigend klangen, sondern schroff und fast wie ein Befehl.
    Die Reihen füllten sich. Ich dachte darüber nach, wie seltsam es doch war, dass Caro, der Menschenmengen immer unheimlich gewesen waren, nach ihrem Tod so viele Menschen anzog.
    Die erste Reihe blieb lange frei. Dann kamen Caros Eltern und ihr Bruder Kalle herein. Versteinerte Mienen. Unbewegte Blässe. Kalle suchte unseren Blick und lächelte uns unsicher zu. Man konnte erkennen, dass er geweint hatte.
    Wenig später folgten Verwandte. Geräuschvoll nahmen sie ihre Plätze ein. Sie schauten sich ungeniert um, flüsterten miteinander, brachten Unruhe in die Stille.
    Der Pfarrer nahm seinen Platz am Rednerpult ein und blätterte in einem dicken Buch, das vor ihm lag. Merle und ich hatten mit ihm abgesprochen, dass wir gegen Ende der Trauerfeier etwas sagen würden. Mir war flau im Magen, als ich mir vorstellte, aufzustehen, unter den Blicken aller nach vorn zu gehen und dann auch noch reden zu müssen. Merle erging es offenbar ebenso. Ihre Hand war nass und schwitzig geworden. Ich hielt sie trotzdem fest.
    Worte. Gebete. Musik. Caro hatte gern Gospels gehört, und in der Gemeinde gab es eine Gospelgruppe, die bereit gewesen war, hier zu singen. Die schönen Stimmen füllten den Raum und ich hoffte, dass Caro sie von irgendwo hören konnte.
    Dann nickte der Pfarrer uns zu und wir gingen nach vorn.
    »Mach du«, flüsterte Merle mir zu. Sie schob mir den vorbereiteten Zettel in die Hand.
    Die Knie wurden mir weich. Ich sah in die erwartungsvollen Gesichter, die ein wenig verschwommen waren, wie die Gesichter in einem Traum. Ich hatte schreckliche Angst davor, in Tränen auszubrechen.
    Aber plötzlich wurde ich ganz ruhig. Plötzlich wusste ich, was ich sagen wollte. Ich zerknüllte den Zettel.
    »Caro«, sagte ich und horchte meiner Stimme einen Augenblick lang nach, »ich weiߟ nicht, ob du mich sehen und hören kannst. Ich wünsche es mir. Denn ich habe dir etwas zu sagen.«
    Ich hatte mir diese Worte nicht zurechtgelegt. Trotzdem hatte ich keine Angst, dass ich ins Stocken geraten würde. Das hier war eine Sache zwischen Caro und mir und ich wollte sie zu Ende bringen.
    »Du bist nicht einfach gestorben. Du bist ermordet worden.«
    Ein Raunen ging durch die Reihen, ein Rascheln, ein Ruck. Doch ich hatte nicht vor, mich bremsen zu lassen.
    »Ich wüsste gern, was Gott sich als Erklärung dazu ausdenken würde. Aber er spricht ja nicht mit uns Menschen. Und als Gott hat er es auch nicht nötig, das, was er geschehen lässt, zu

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