Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee

Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
Vom Netzwerk:
hielt sich fast gänzlich von dieser Kajüte fern. So er denn überhaupt schlief, zog er das Deck vor. Die bevorstehende Nacht war keine, in der irgendjemand an Bord der Delphin an Schlaf denken konnte. Es war keine einzelne Bö, sondern eine ganze Kette heftiger Spätsommerstürme, die sich im Südwesten zusammenbrauten; und inmitten der Furcht erregenden Aufgewühltheit der von Blitzen geblendeten See, der Donnerschläge, die so gewaltig waren, dass man glauben konnte, sie würden das Schiff zertrümmern, und der wütenden Sturmböen, die es mit eiserner Faust durchrüttelten und hin und her warfen, würde es eine lange und vor allem laute Nacht werden.
    Onyx konsultierte Lebannen einmal: Sollte er ein Wort an den Wind richten? Lebannen schaute zum Schiffer, der mit den Achseln zuckte. Er und seine Mannschaft hatten alle Hände voll zu tun, aber sie waren unbesorgt. Das Schiff war nicht in Not. Was die Frauen betraf, so hieß es, sie säßen in ihrer Kajüte und spielten. Irian und die Prinzessin waren zuvor an Deck gekommen, aber es war bisweilen schwierig, sich auf den Beinen zu halten, und da sie außerdem gemerkt hatten, dass sie der Mannschaft im Wege standen, hatten sie sich wieder in ihre Kajüte zurückgezogen. Die Meldung, dass sie spielten, stammte vom Küchenjungen, der zu ihnen geschickt worden war, um sie zu fragen, ob sie etwas zu essen haben wollten. Sie hatten ihm gesagt, er solle ihnen bringen, was er könne.
    Lebannen fand sich von der gleichen intensiven Neugier gepackt, die ihn schon am Nachmittag heimgesucht hatte. Es bestand kein Zweifel daran, dass die Lampen in der Heckkajüte allesamt brannten, denn ihr Schein spiegelte sich golden auf der Gischt des Kielwassers der Delphin. Gegen Mitternacht hielt er es nicht mehr aus. Er ging nach achtem und klopfte.
    Irian öffnete die Tür. Nach den gleißenden Blitzen und der Schwärze des Unwetters hatte der Lampenschein in der Kajüte etwas Wärmendes und Behagliches, auch wenn die schwingenden Lampen bewegliche Schatten warfen. Und er nahm eine Fülle von Farben wahr, die weichen Farben ihrer Kleider, das Braun oder Weiß oder Gold ihrer Haut, das Schwarz oder Grau oder Braun ihrer Haare, ihre Augen - die der Prinzessin starrten ihn erschrocken an, während sie hastig einen Schal oder irgendein Tuch ergriff, um ihr Gesicht zu verhüllen.
    »Ach! Wir dachten, es wäre der Küchenjunge!«, sagte Irian lachend.
    Tehanu schaute ihn an und fragte in ihrer schüchternen, kameradschaftlichen Art: »Gibt es Probleme?«
    Ihm wurde bewusst, dass er in der Tür stand und sie anstarrte wie ein stummer Schicksalsbote.
    »Nein ... überhaupt nicht. Kommt ihr gut zurecht? Es tut mir Leid, dass es so stürmisch ist...«
    »Wir machen dich nicht für das Wetter verantwortlich«, sagte Tenar. »Keiner konnte schlafen, und da haben die Prinzessin und ich den anderen ein beliebtes kargisches Glücksspiel beigebracht.«
    Lebannen sah fünf seifige beinerne Würfelstöcke auf dem Tisch verstreut liegen. Wahrscheinlich gehörten sie Tosla.
    »Wir haben um Inseln gewettet«, sagte Irian. »Aber Tehanu und ich sind auf der Verliererstraße. Die Karg haben schon Ark und Ilien gewonnen.«
    Die Prinzessin hatte den Schal sinken lassen. Sie saß da und schaute Lebannen entschlossen ins Gesicht, auf das Äußerste angespannt, etwa so, wie ein junger Schwertkämpfer ihn vor einem Gefecht anschauen würde. In der Wärme der Kajüte hatten alle nackte Arme und Füße, aber ihr Bewusstsein um ihr unbedecktes Gesicht zog sein Bewusstsein mit der Kraft eines Magneten an.
    »Es tut mir Leid, dass es so stürmisch ist«, wiederholte er blöde und schloss die Tür. Als er sich zum Gehen wandte, hörte er, wie sie alle lachten.
    Er gesellte sich zum Steuermann. Während er in die böige, regnerische Dunkelheit schaute, die nur mehr vereinzelt von fernen Blitzen erhellt wurde, konnte er immer noch alles in der Heckkajüte genau vor sich sehen: die schwarze, fließende Fülle von Tehanus Haar, Tenars herzliches, neckisches Lachen, die Würfelstöcke auf dem Tisch, die runden Arme der Prinzessin, honigfarben wie das Licht der Lampen, ihren Hals im Schatten ihres Haars, wiewohl er sich nicht entsann, auf ihre Arme und ihren Hals geschaut zu haben, sondern nur in ihr Gesicht, auf ihre Augen, die voller Trotz gewesen waren, voller Trotz und voller Verzweiflung. Wovor hatte das Mädchen Angst? Glaubte sie, er wolle ihr wehtun?
    Zwei Sterne standen hoch am südlichen Firmament. Er ging in seine

Weitere Kostenlose Bücher