Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee
Rechten die Felder, die Dächer der kleinen Stadt und das Großhaus, die glänzende Bucht und das offene Meer dahinter. Wenn er sich umwandte, würde er hinter sich im Westen die Bäume des endlosen Waldes sehen, der sich in der blauen Ferne verlor. Der Hang vor ihm war düster und grau, er führte hinunter zu der Steinmauer und der Dunkelheit hinter ihr, und zu den drängenden, rufenden Schatten an der Mauer. Ich werde kommen, sagte er zu ihnen. Ich werde kommen!
Wärme fiel über seine Schultern und seine Hände. Wind regte sich in den Blättern über seinem Kopf. Stimmen sprachen. Sie sprachen, aber sie riefen ihn nicht, schrien nicht seinen Namen. Die Augen des Formgebers beobachteten ihn über den Kreis aus Gras hinweg. Auch der Gebieter beobachtete ihn. Er senkte verwirrt den Blick. Er versuchte zu lauschen. Er sammelte sich und lauschte.
Der König sprach. Er setzte all sein Geschick, all sein Können, all seine Kraft ein, um diese hitzigen, eigensinnigen Männer und Frauen auf ein Ziel einzuschwören. »Lasst mich, Ihr Meister von Rok, versuchen, Euch zu erzählen, was ich von der Prinzessin erfuhr, als wir hierher segelten. Prinzessin, darf ich für Euch sprechen?«
Unverschleiert schaute sie durch den Kreis zu ihm und erteilte ihm mit einem Nicken die Erlaubnis.
»Dies ist ihre Geschichte: Vor langer Zeit waren das Menschenvolk und das Drachenvolk ein einziges Volk, welches die gleiche Sprache sprach. Aber sie trachteten nach unterschiedlichen Dingen und kamen daher überein, sich zu trennen - unterschiedliche Wege zu gehen. Diese Übereinkunft ward >der Vedurnan< geheißen.«
Onyx' Kopf ging hoch, und Seppels glänzende dunkle Augen weiteten sich. »Verw nadan«, wisperte er.
»Die Menschen zogen nach Osten, die Drachen nach Westen. Die Menschen verzichteten auf ihre Kenntnis der Sprache des Erschaffens und erhielten dafür alles Geschick und alle Fertigkeit der Hand - und das Eigentumsrecht auf alles, was Hände erschaffen können. Die Drachen ließen hingegen all diese Dinge fahren. Aber sie behielten die Alte Sprache.«
»Und ihre Schwingen«, sagte Irian.
»Und ihre Schwingen«, wiederholte Lebannen. Er hatte den Blick Azvers aufgefangen. »Formgeber, vielleicht kannst du die Geschichte besser weitererzählen als ich?«
»Die Dorfleute von Gont und Hur-at-Hur erinnern sich an das, was die weisen Männer von Rok und die Priester von Karego vergessen«, sagte Azver. »Ja, als Kind ward mir diese Geschichte, glaube ich, so erzählt, oder ähnlich. Aber die Drachen waren in dieser Geschichte schon vergessen. Sie berichtete davon, wie das Dunkle Volk des Archipels seinen Schwur brach. Wir hatten alle gelobt, der Hexerei und der Sprache der Hexerei zu entsagen und nur noch unsere gemeine Sprache zu verwenden. Wir würden keine Namen nennen und keine Zauberformeln sprechen. Wir würden auf Segoy vertrauen, auf die Kraft und die Macht der Erde, unsere Mutter, Mutter der Kriegergötter. Aber das Dunkle Volk brach den Vertrag. Sie fingen die Sprache des Erschaffens mit ihrer Kunst ein, legten sie in Runen nieder. Sie behielten sie, lehrten sie, gebrauchten sie. Sie machten Zaubersprüche mit ihr, mit der Geschicklichkeit ihrer Hände, mit falschen Zungen die wahren Worte sprechend. Und deshalb kann das kargische Volk ihnen niemals vertrauen. So geht die Mär.«
Irian ergriff das Wort: »Die Menschen fürchten den Tod, die Drachen nicht. Die Menschen wollen das Leben besitzen, als wäre es ein Schmuckstück in einer Schachtel. Jene alten Magier ersehnten ewiges Leben. Sie lernten, Wahrnamen zu verwenden, um die Menschen vor dem Sterben zu bewahren. Aber wer nicht stirbt, kann nimmer wiedergeboren werden.«
»Der Name und der Drache sind eins«, sagte Kurremkarmerruk, der Namengeber. »Wir Menschen verloren unsere Namen beim verw nadan, aber wir lernten sie wieder zu erringen. Der Name ist das Selbst. Warum sollte der Tod etwas daran ändern?«
Er schaute auf den Gebieter; Brand saß massig und grimmig da und hörte zu, sagte aber nichts.
»Erzählt mehr davon, Namengeber«, bat der König.
»Ich erzähle, was ich halb gelernt und halb mir zusammengereimt habe, nicht aus Dorfgeschichten, sondern aus den ältesten Zeugnissen im Einsamen Turm. Tausend Jahre vor den ersten Königen von Enlad gab es Männer auf Ea und Solea, die ersten und größten der Magier, die Runenmacher. Sie waren es, die lernten, die Sprache des Erschaffens niederzuschreiben. Sie schufen die Runen, was die Drachen niemals
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