Der Erdsee Zyklus 06 - Rückkehr nach Erdsee
überhaupt ein Haus hast!«
»Ich hatte ja auch keines«, erwiderte der Formgeber. »Aber meine Knochen werden alt.«
Mit ein paar hurtig vom Schiff herbeigeholten Matten, Kissen und Decken war das Haus schnell mit Bettstätten für die Frauen ausgestattet, und desgleichen der Anbau für die Männer. Burschen rannten zum Großhaus zurück und holten Vorräte aus der Küche. Und am späten Nachmittag kamen auf Einladung des Formgebers die Meister von Rok zu Besuch.
»Ist dies der Ort, an dem sie sich versammeln, um den neuen Erzmagier zu küren?«, fragte Tenar Onyx, denn Ged hatte ihr von der geheimen Lichtung erzählt.
Onyx schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht«, sagte er. »Der König müsste es wissen, denn er war dort, als sie zum letzten Mal zusammentrafen. Aber vielleicht kann es Euch auch nur der Formgeber sagen. Weil nämlich die Dinge in diesem Wald in stetem Wandel sind, müsst Ihr wissen. >Er ist nicht immer da, wo er ist.< Auch sind, soweit ich weiß, die Wege, die durch ihn führen, nicht immer ganz dieselben.«
»Es müsste mir eigentlich Angst machen«, sagte sie, »aber ich habe nicht das Gefühl, als könnte ich hier Angst bekommen.«
Onyx lächelte. »So ist das hier«, sagte er.
Sie sah die Meister auf die Lichtung treten, angeführt von dem großen, vierschrötigen Gebieter und Spiel, dem jungen Wetterzauberer. Onyx sagte ihr, wer die anderen waren: der Meister der Verwandlung, der Meister der Lieder, der Meister der Kräuterkunde, der Meister der Hand: allesamt grauhaarig; der Meister der Verwandlungen, gebrechlich und vom Alter gebeugt, gebrauchte seinen Stab als Krückstock. Der Türwächter, glattgesichtig und mandeläugig, schien weder jung noch alt. Der Namengeber, der als Letzter kam, sah aus wie vierzig. Sein Gesicht war ruhig und verschlossen. Er stellte sich dem König als Kurremkarmerruk vor.
Da rief Irian entrüstet: »Aber der seid Ihr nicht!«
Er sah sie an und sagte gleichmütig: »Das ist der Name des Namengebers.«
»Dann ist mein Kurremkarmerruk tot?«
Er nickte.
»Oh«, schrie sie, »das ist eine ganz schlimme Nachricht! Er war mein Freund, als ich nur wenige Freunde hier hatte!« Sie wandte sich ab und wollte den Namengeber nicht anschauen, wütend und tränenlos in ihrem Gram. Sie hatte den Meister der Kräuterkunde und den Türwächter herzlich begrüßt, aber mit den anderen sprach sie nicht.
Tenar gewahrte, dass sie Irian mit unbehaglichen Blicken unter ihren grauen Brauen beobachteten.
Von ihr wandten sie den Blick zu Tehanu - und schauten wieder weg und schauten wieder hin, verstohlen. Und Tenar fragte sich, was sie sahen, wenn sie Tehanu und Irian anschauten. Denn diese Männer sahen mit den Augen von Zauberern.
Daher hieß sie sich Nachsicht mit dem Gebieter üben für sein ungehobeltes und unverhohlenes Entsetzen beim ersten Anblick Tehanus. Vielleicht war es ja kein Entsetzen gewesen. Vielleicht war es Ehrfurcht gewesen.
Als sie alle miteinander bekannt gemacht worden waren und im Kreis Platz genommen hatten, mit Kissen und behelfsmäßigen Sitzen für die, die sie brauchten, mit dem Gras als Teppich und dem Himmel und dem Laub als Dach, sagte der Formgeber, dessen Sprache immer noch ein leichter kargischer Akzent anhaftete: »So er denn zu sprechen geruht, meine Meisterkollegen, wollen wir jetzt den König hören.«
Lebannen erhob sich. Während er sprach, betrachtete ihn Tenar mit unbändigem Stolz. Er war so schön, so weise in seiner Jugend! Sie folgte zuerst nicht dem Wortlaut seine Rede, sondern nur ihrem Sinn und der Leidenschaft, mit der er seine Worte vortrug.
Er erzählte den Meistern in kurzen, knappen Worten, was ihn nach Rok geführt hatte: die Drachen und die Träume.
Er schloss mit den Worten: »Wir hatten den Eindruck, als ob sich Nacht für Nacht all diese Dinge zusammen immer sicherer auf irgendein Ereignis, irgendein Ziel zu bewegten. Es schien uns, als könnten wir hier, auf diesem Grund, mit Hilfe Eures Wissens und Eurer Macht dieses Ereignis vielleicht vorhersehen und ihm begegnen, ohne unser Begriffsvermögen davon überwältigen zu lassen. Die weisesten von Euch Magiern haben prophezeit, ein großer Wandel stehe uns bevor. Wir müssen uns zusammentun, unsere Kräfte vereinen, um herauszufinden, was für ein Wandel das ist, welches seine Ursachen sind, sein Verlauf, und wie wir es vielleicht schaffen können, ihn von Konflikt und Ruin zu Harmonie und Frieden zu wenden, jenem Frieden, in dessen Zeichen ich
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