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Der Erdsee Zyklus Bd. 2 - Die Gräber von Atuan

Der Erdsee Zyklus Bd. 2 - Die Gräber von Atuan

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 2 - Die Gräber von Atuan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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nicht. Seine Züge waren ernst und wachsam, als ob er sich allein im Boot befände. Er wachte über Segel und Steuer, war flink und ruhig in seinen Bewegungen und schaute unentwegt nach vorne.
    Am späten Nachmittag – sie hielten auf die Sonne zu – deutete er rechts hinüber und sagte: »Dort liegt Karego-At«, und Tenar folgte seiner Hand und sah ferne Hügel, die wie Wolken aussahen – die große Insel des Gottkönigs. Atuan war hinter dem Horizont verschwunden. Ihr Herz war schwer. Die Sonne verdunkelte ihr das Augenlicht.
    Ihre Abendmahlzeit bestand aus trockenem Brot und geräuchertem Fisch, an dem Tenar würgte, und Wasser aus dem Wasserbehälter, den Ged am vorhergehenden Abend an einem Bach am Strand des Wolkenkaps gefüllt hatte. Die Winternacht kam früh und war kalt auf dem Meer. Weit im Norden sahen sie eine Weile winzige Lichter blinken, gelbes Licht von Feuern in fernen Dörfern an der Küste von Karego-At. Sie verschwanden im Dunst, der vom Meer aufstieg, und sie waren allein in der sternenlosen Nacht, über dem tiefen Meer.
    Sie hatte sich im Heck des Bootes niedergelegt und zusammengerollt. Ged lag im Bug und benutzte den Wasserbehälter als Kissen. Das Boot glitt stetig dahin, kleine Wellen schlugen an seine Wände, obwohl der Wind nur wie ein schwacher Atem aus dem Süden blies. Hier draußen, weit weg von der Felsküste, schwieg das Meer; nur wenn es das Boot berührte, flüsterte es ein wenig.
    »Wenn der Wind aus dem Süden bläst«, sagte Tenar flüsternd, weil das Meer auch flüsterte, »segeln wir dann nicht nach Norden?«
    »Doch, außer wir kreuzen gegen den Wind. Aber ich habe einen magischen Wind in das Segel gerufen, der uns nach Westen treibt. Morgen früh werden wir uns nicht mehr in kargischen Gewässern befinden. Dann werde ich mit dem Wind der Welt segeln.«
    »Steuert es sich selbst?«
    »Ja«, erwiderte Ged ernsthaft, »vorausgesetzt, daß es die richtigen Anweisungen erhält. Es braucht nicht viele. Es war schon auf hoher See, weiter als die fernsten Inseln des Ostbereiches, und es war auf Selidor, wo Erreth-Akbe fiel, im fernsten Westen. Es ist ein weises, tüchtiges Boot, mein Weitblick . Du kannst ihm schon vertrauen.«
    Das Mädchen lag im Boot, das von einer magischen Kraft über die Tiefe geleitet wurde, und blickte hinauf in die Dunkelheit. Ihr ganzes Leben hatte sie in Finsternis geblickt, doch dies hier war eine viel größere Finsternis, diese Nacht hier auf dem Meer. Hier gab es kein Ende, kein Dach. Diese Finsternis reichte weiter als die Sterne. Keine Macht der Erde konnte sie erschüttern; sie hatte bestanden, bevor es Licht wurde, und sie würde bestehen, nachdem alles Licht erloschen war; sie hatte bestanden, bevor es Leben gab auf dieser Welt, und sie würde weiterbestehen, nachdem alles Leben verschwunden war. Sie reichte bis jenseits des Bösen.
    Sie sprach in die Dunkelheit hinein: »Die kleine Insel, wo man dir den Talisman gab, liegt die hier in diesen Gewässern?«
    »Ja«, seine Stimme kam aus dem Dunkel. »Hier irgendwo; südlich, glaube ich. Ich würde sie nicht wiederfinden.«
    »Ich weiß, wer die alte Frau war, die dir den Ring gegeben hat.«
    »Du weißt es?«
    »Man hat mir die Geschichte erzählt. Es gehört zum Wissen der Ersten Priesterin. Thar hat sie mir erzählt, das erste Mal in Kossils Gegenwart, und später ausführlicher, als wir allein waren. Das war das letzte Mal, daß sie mit mir gesprochen hat vor ihrem Tode. Ein adliges Geschlecht in Hupun hatte sich gegen die immer mächtiger werdenden Priester in Awabad erhoben. Der Stammvater des Geschlechts war König Thoreg, und unter den Schätzen, die er seinen Nachfahren hinterließ, war der halbe Ring von Erreth-Akbe.«
    »So heißt es auch in den Taten von Erreth-Akbe. Es heißt … in deiner Sprache: … und als der Ring zerbrochen ward, blieb eine Hälfte in des Priesters Intathins Hand, die andere in des Helden Hand. Und der Hohepriester sandte die zerbrochene Hälfte zu den Namenlosen. Zu den Urmächten der Erde in Atuan, und sie verschwand im Dunkel, an Orten, die Menschen längst vergessen haben. Doch Erreth-Akbe legte seine Hälfte in die Hand des Mägdeleins Tiarath, der Tochter des weisen Königs, und sprach: ›Möge sie im Licht des Tages, im Brautschatz des Mägdleins bleiben, möge sie in diesem Land bleiben, bis der Ring wieder geheilt werden kann.‹ So sprach der Held, bevor er nach dem Westen segelte …
    Dann wurde die Ringhälfte wahrscheinlich von Tochter zu

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