Der erpresste Erpresser
ärztliche Schweigepflicht nicht berührt
wird.
Die Ärztin mochte Ende Dreißig sein.
Blonder Herrenschnitt, warmherzige Braunaugen, Figur einer Kugelstoßerin. Ihr
Ehering war dreimal dicker als ein üblicher.
„Ihr wollt mir was ausrichten?“ fragte
sie, nachdem Tim sich und Gaby vorgestellt hatte.
„Nicht direkt“, er lächelte einnehmend.
„Um ehrlich zu sein: Wir würden nur gern hören von Ihnen, in welches
Krankenhaus Markus Wagner — der Stiefsohn von Herrn Brochmann — eingeliefert
worden ist.“
Dr. Milzwinkel schob die Brauen
zusammen. Verständnislosigkeit auf allen Gesichtszügen.
„Markus Wagner? Ist er krank?“
„Herr Brochmann sagt: ansteckend.
Deshalb will er uns nicht zu ihm lassen. Aber wir sind seine — Markus’ —
allerbesten Freunde. Und wollen ihn doch wenigstens mit Lesefutter versorgen.“
„Ich weiß nichts davon.“
„Aber Sie sind doch die Hausärztin bei
Brochmanns?“
„Vorgestern war ich’s noch. Vorgestern habe
ich Herrn Brochmann ein Rezept...“ Sie stoppte sich selbst. „Da hat er von
Markus nichts erwähnt. Seit wann ist er denn krank?“
„Ich würde sagen: Es muß ihn zwischen
13 und 13.45 Uhr getroffen haben — Pest, Pocken, Cholera, oder was auch immer —
wie der Blitz aus heiterem Himmel.“
„Ob da nicht ein Irrtum vorliegt?“
„Der Ansicht sind wir jetzt auch“,
nickte Tim. „Herzlichen Dank, Frau Doktor.“
Karl und Klößchen warteten. Oskar
beobachtete einen Dackel, der auf der anderen Straßenseite von seinem Frauchen
geführt wurde.
Klößchen hatte die Zeit genutzt und
sich in einem Lebensmittelgeschäft mit Schokolade versorgt.
„Brochmann lügt also“, stellte Tim
fest, nachdem er berichtet hatte. „Jetzt mehren sich unsere Bedenken, und das
Gespenst des Verdachts malt sich drohend an die Wand.“
„Armer Markus!“ nickte Klößchen. „Sein
Ende wird Schlagzeilen machen. Meistens sind’s ja kleine Kinder, die von
bestialischen Eltern zu Tode geprügelt werden. Babys. Aber Markus war kein Baby
mehr, sondern...“
„Ich finde das nicht lustig!“ pfiff
Gaby ihn an. „Man macht keine Witze über solche Tötungsdelikte.“
„Dahinter verberge ich doch nur meine
Besorgnis“, meinte Klößchen und biß von der Schoko ab.
„Schalten wir gleich Gabys Vater ein?“
fragte Karl. „Oder machen wir uns schlauer? Indem wir Brochmann mit unbequemen
Fragen löchern, meine ich. Vielleicht holt er die Wahrheit hervor, und die ist
womöglich harmloser, als wir denken.“
„Die Wahrheit ist selten harmlos“,
meinte Klößchen düster. „Meistens reißt sie Luftschlösser ein und zerstört das
Wunschdenken. Im Denken wünscht man ja immer, alles wäre in Ordnung. Aber was
ist schon in Ordnung?“ Er betrachtete seine Schoko-Tafel. „Die ist auch nicht
mehr das, was sie mal war. Naja, von der Konkurrenz. Mein Vater, der
Kakaowaren-Hersteller von Weltgeschmack, würde so’n Zeug nicht erzeugen. Viel
zu schlapp im Geschmack.“
„Also auf zu Brochmann!“ entschied Tim.
„Vielleicht hat er den Arzt gewechselt, was ich aber nicht glaube. Noch eine
Lüge schlucken wir jedenfalls nicht.“
Zu viert, verstärkt durch Oskar, der
mit baumelnder Zunge neben Gabys Rad lief, rückten sie an im Kantaten-Weg.
Nichts hatte sich verändert.
Immer noch stand der Mercedes in der
Garage.
Wirklich ein altes Modell, dachte Tim.
Ein bißchen schäbig für einen Unternehmer. Der Auspuff ist durchgerostet, und
die Stoßstange hat mehr Beulen als Glanzstellen. Knausert Brochmann mit sich
selbst, oder gehen die Geschäfte so schlecht?
Sie bauten sich auf vor der Haustür.
Oskar warf sich in den Schatten, der reichlich vorhanden war dicht beim
Weinlaub.
Auch diesmal kam Brochmann, nachdem Tim
geklingelt hatte, selbst an die Tür. Wen hätte er auch schicken sollen? Den
erkrankten Markus? Oder die Zugehfrau, die nur montags und freitags antanzte?
Er hatte sich’s bequemer gemacht. Kein
Jackett. Offener Kragen. Der Schlips hing auf Halbmast. Das Gesicht wirkte
röter als vorhin. Entweder hatte Brochmann Klimmzüge gemacht oder sich ein Bier
reingegossen. Tim tippte auf Bier. Kalte Augen glotzten durch die randlose
Brille.
„Wir sind’s wieder“, sagte Tim.
„Inzwischen haben wir bei Frau Dr. Milzwinkel nachgefragt, Ihrer Hausärztin.
Muß ich weiterreden?“
„Was? Was ist?“
„Markus ist jedenfalls nicht in seinem
Bett. Ich habe durchs Fenster gespäht. Und krank ist er auch nicht. Jedenfalls weiß
Dr. Milzwinkel nichts.
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