Schalom
1
Auch heute Morgen hatte Avri nicht angerufen. Bald müsste sie hinuntergehen, in den Lebensmittelladen. Gestern hatte man ihr wieder mal versprochen, den Fernsehtechniker vorbeizuschicken, deshalb würde sie sich mit dem Einkaufen beeilen müssen, damit sie zurück war, bevor er kam.
Sie hatte schon oft dort angerufen, aber immer hatten sie irgendetwas Dringenderes zu tun. Nein, es interessierte sie nicht zu hören, was so dringend war. In der Vergangenheit hatte sie sich darüber geärgert und gedroht, sie würde allen Freundinnen von der laschen Kundenbetreuung erzählen, und sie wollte sofort eine andere Firma anrufen, aber sie hatte schon längst keine Ahnung mehr, wo sie eine andere Reparaturwerkstatt finden sollte. Sie war sich auch nicht sicher, ob jemand bereit wäre, herzukommen und das Gerät bei ihr in der Wohnung zu reparieren. Heute wurde verlangt, dass man sein Gerät in die Werkstatt bringt, schließlich hat jeder ein Auto. Und sie – nicht nur dass sie kein Auto besaß, auch wenn sie eines hätte, wäre sie nicht imstande, das Fernsehgerät von seinem angestammten Platz zu bewegen.
Nechama überlegte, ob sie die Firma nicht boykottieren solle, einfach so, ohne Drohungen. Ganz einfach nicht mehr anrufen. Sollten sie doch glauben, sie hätte eine neue Reparaturwerkstatt gefunden. Aber sie hatte Angst, sie würden es gar nicht bemerken, und letztendlich war die Störung ja in ihrem Gerät, nicht bei denen.
Der Kaffee verbrannte ihre Lippen, aber der bittere Geschmack glitt sanft durch ihre Kehle und wärmte ihren Bauch von innen. Wenn Avri nicht angerufen hätte, bis sie den Kaffee ausgetrunken hatte, würde sie nicht länger warten und schnell hinunter in den Lebensmittelladen gehen. Sie brauchte nicht viel, nur einen halben Laib Brot, den sie einfrieren könnte und der dann für die ganze Woche reichen würde, und H-Milch. Alles Übrige hatte sie bereits auf dem Markt gekauft, am Ende der letzten Woche.
Es hatte geregnet, damals, als Jaki wegging. Menachem hatte ihn gefragt, ob es ihm zu Hause so schlecht gehe, dass er sich einen anderen Ort suchen wolle. Jaki hatte nicht geantwortet. Sie hatten lange geschwiegen, und die Stille im Haus wurde nur vom Donnern unterbrochen und vom Regen, den ein kräftiger Wind vom Meer gegen die großen Glasfenster klatschte.
Dann sagte Jaki: »Es ist keine Frage von gut oder schlecht, ich brauche ganz einfach ein bisschen Abstand.«
Damals hatte noch keiner gewusst, wie groß der Abstand werden würde.
Nechama schaute auf die Uhr, sie war nicht einmal sicher, ob der Sohn vom alten Gottesmann den Laden bereits geöffnet hatte. Solange sein Vater den Laden geführt hatte, hatte es keinen Zweifel daran gegeben, dass der Laden schon vor der Morgendämmerung geöffnet wurde. Doch nachdem Gottesmann aufgehört hatte, hatte sie oft vor der verschlossenen Tür gestanden. Sie konnte ihren Kaffee noch in Ruhe austrinken.
Als Avri beim Militär gewesen war, hatte er ihnen gesagt, er wäre Lagerist und hätte nichts Gefährliches zu tun. Doch weil er das rote Barett trug, hatte Menachem gewusst, dass er ihnen nicht die Wahrheit sagte. Sie hatte nur gedacht, wenn er wirklich im Lager arbeitete, müsste er doch in seinen wenigen freien Tagen nicht so viel Schlaf nachholen.
Deshalb hatten sie ihm auch nicht geglaubt, als er ihnen kurz nach der Beendigung seines Wehrdienstes mitteilte, er würde für ein paar Monate nach Eilat ziehen, um dort Geld für sein Studium an der Universität zu verdienen. Noch bevor die Zeit um war, hatte er schon diese junge Frau geheiratet, die bis heute nicht in der Lage war, einen anständigen Kuchen zu backen, sie kaufte für Avri fertigen Kuchen im Supermarkt. Avri hatte es zu eilig gehabt, als er sie heiratete. Aber sonst konnte man kein schlechtes Wort über ihn sagen. Bis heute bezahlte er für diesen Fehler, doch abgesehen von dieser Sache waren ihre Schwestern immer neidisch gewesen, weil sie so einen gut gelungenen Sohn hatte.
Solche Dinge wurden nicht im Himmel entschieden und es war auch keine Frage von Glück. Wer Avri genau betrachtete, würde zwar keinerlei äußere Ähnlichkeit mit seinen Eltern entdecken, doch er würde sofort erkennen, aus welchem Haus Avri kam und welche Eltern ihn großgezogen hatten.
Allerdings war auch Jaki in diesem Haus aufgewachsen. Nun ja, es gab eben doch noch Dinge, die im Himmel bestimmt wurden. Hätte er diese Goja 1 nicht kennengelernt, wäre auch er ein wunderbarer Sohn gewesen. Und obwohl er
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