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Der ewige Gaertner

Der ewige Gaertner

Titel: Der ewige Gaertner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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der Kurve verschiedenfarbig markiert. Das Diagramm, das gerade seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, hatte den Titel INFRASTRUKTUREN IM VERGLEICH 2005-2010, und soweit Woodrow es von seinem Standort aus erkennen konnte, gab es vor, die konjunkturelle Entwicklung der afrikanischen Nationen vorhersagen zu können. Auf der Fensterbank links neben Justin stand eine Reihe von ihm persönlich gepflegter Topfpflanzen. Woodrow identifizierte Jasmin und Balsamine, allerdings nur, weil Justin Ableger dieser Pflanzen Gloria geschenkt hatte.
    »Hi, Sandy«, sagte Justin, das Hi in die Länge ziehend.
    »Hi.«
    »Wie ich höre, versammeln wir uns heute Morgen nicht. Gibt’s Ärger?«
    Die berühmte goldene Stimme, dachte Woodrow, der jede Einzelheit wahrnahm, als wäre sie ihm völlig neu. Nicht mehr jung, aber garantiert betörend, wenn man dem Ton mehr Bedeutung zumisst als dem Inhalt. Warum verachte ich dich, wo ich doch gleich dein Leben für immer verändern werde? Von nun an bis ans Ende deiner Tage wird es das Leben vor diesem Moment geben und das danach, und es wird für dich sein, als wären es verschiedene Zeitalter, ebenso wie für mich. Warum ziehst du dein blödes Jackett nicht aus? Du bist bestimmt der Einzige im diplomatischen Dienst, der noch zu seinem Schneider geht, um sich Tropenanzüge machen zu lassen. Da fiel Woodrow ein, dass er selbst auch noch sein Jackett anhatte.
    »Und euch geht’s gut , hoffe ich?«, fragte Justin mit der ihm eigenen manieriert gedehnten Sprechweise. »Ich hoffe, Gloria leidet nicht unter dieser furchtbaren Hitze? Die Jungen machen sich bestens und so weiter?«
    »Uns geht’s ausgezeichnet.« Eine kleine Pause, von Woodrow inszeniert. »Und Tessa ist auf dem Land«, sagte er beiläufig. Eine letzte Chance wollte er ihr noch geben zu beweisen, dass das Ganze nur ein schrecklicher Irrtum war.
    Überschwänglich, wie immer, wenn er auf Tessa angesprochen wurde, antwortete Justin: »Ja, allerdings. Sie ist momentan nonstop im Einsatz.« Er hielt einen Wälzer der Vereinten Nationen im Arm, fast zehn Zentimeter dick. Er beugte sich vor und legte ihn auf einem Beistelltisch ab. »Wenn sie so weitermacht, hat sie ganz Afrika gerettet, bevor wir hier weggehen.«
    »Weswegen ist sie eigentlich da hochgefahren?« Woodrow klammerte sich an jeden Strohhalm. »Ich dachte, sie hätte hier in Nairobi genug zu tun. In den Slums. Kibera, oder?«
    »Und ob«, sagte Justin stolz. »Tag und Nacht, das arme Mädchen. Wie man mir erzählt, macht sie wirklich alles. Vom Babywickeln bis zu Einführungen in die Bürgerrechte für Rechtshelfer. Die meisten ihrer Schützlinge sind natürlich Frauen, was ihr sehr gefällt. Den Männern gefällt es allerdings weniger.« Sein wehmütiges Lächeln schien zu besagen: wenn doch nur . »Eigentumsrechte, Scheidung, Misshandlung, Vergewaltigung in der Ehe, Beschneidung, Safer Sex. Die ganze Palette, Tag für Tag. Man kann schon nachvollziehen, warum die Ehemänner leicht gereizt reagieren, nicht wahr? Ginge mir genauso, wenn ich meine Frau vergewaltigen würde.«
    »Und was macht sie dann auf dem Land?« Woodrow blieb hartnäckig.
    »Oh, weiß der Himmel. Fragen Sie Doc Arnold«, antwortete Justin etwas zu beiläufig. »Arnold ist da draußen ihr Führer und philosophischer Berater.«
    So verkauft er es immer, erinnerte sich Woodrow. Der Schutzmantel, der alles bemänteln soll. Dr. med. Arnold Bluhm, ihr moralischer Beistand, der schwarze Ritter, Beschützer im Dschungel der Hilfsorganisationen. Alles, nur nicht ihr geduldeter Liebhaber. »Wo genau ist sie denn hin?«, fragte er.
    »Loki. Lokichoggio .« Justin hatte sich auf die Kante seines Schreibtisches gestützt, vielleicht in unbewusster Nachahmung von Woodrows lässiger Haltung an der Tür. »Die Leute vom Welternährungsprogramm veranstalten da oben einen Workshop zum Thema Geschlechterrollen, ist das zu fassen? Die fliegen Dörflerinnen aus dem Südsudan ein, die sich ihrer Geschlechtsrolle nicht bewusst sind, verabreichen ihnen einen Intensivkurs John Stuart Mill und schicken sie mit Geschlechterrollenbewusstsein wieder zurück. Arnold und Tessa sind hingefahren, um sich den Spaß einmal anzusehen, die Glückspilze.«
    »Wo ist sie jetzt?«
    Justin nahm diese Frage ungnädig auf. Es schien, als sei ihm in diesem Moment klar geworden, dass Woodrow mit seinem Smalltalk etwas bezweckte. Oder vielleicht – überlegte Woodrow – mochte er es nicht, auf das Thema Tessa festgenagelt zu werden, wo er sie doch

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