Der Facebook-Killer
durch ehemalige Steinbrüche unter der Stadt entstanden waren und ein Teil davon vor rund zweihundertfünfzig Jahren und bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts als unterirdisches Beinhaus diente. „Hier unten liegen die Gebeine von etwa sechs Millionen Parisern.“
„Unglaublich …“, hauchte Geza. Sie hatte von diesem Ort natürlich gehört, war aber noch nie hier unten gewesen. Aber wo war Zoe, würden sie sie hier überhaupt finden?
Der Gang, dem sie folgten, verlief in einer langgezogenen Kurve und mündete in einen runden, kavernenartigen Raum. An den etwa zweieinhalb Meter hohen Wände stapelten sich vom Boden bis zur Decke Schädel, ein grausiger Anblick. In der Raummitte war ein etwas erhöhtes Plateau aus dem Stein geschlagen. Im schwachen, flackernden Schein der Grablampe war darauf eine schmächtige, verkrümmt liegende Gestalt zu erkennen. Sie war an Händen und Füßen mit silbernem Gaffertape gefesselt, ein weiterer Streifen des zähen Klebebands bedeckte ihren Mund.
„Zoë!“
Mafro stürzte zu ihr hinüber. Sie hatte die Augen geschlossen und reagierte nicht auf seinen Ruf, doch sie atmete, Gott sei Dank, sie atmete! Er entfernte ihr vorsichtig das Klebeband vom Mund und hob sie in seine Arme. Schwach murmelte die halb Bewusstlose etwas und ließ sich dann gegen ihn sacken. Er hielt sie, zitterte und weinte.
Irgendwann sah Maxime Fronzac zu Geza Wolf hinüber, die am Eingang der runden Kaverne stehengeblieben war. Sie las Dank in seinen Augen … Dank, Erleichterung und Hoffnung, dass nun alles wieder gut würde. Auch zwischen ihm und Zoë.
Die Wölfin wandte sich wortlos ab und ging mit langsamen, müden Schritten den Weg zurück zum Aufstieg. Aus der Hölle ans Licht.
Sie wusste es besser. Kris Manet hatte Zoë gezwungen, Bilder zu sehen, die sie ihr Leben lang in jeder wachen Minute und durch jeden Traum verfolgen würden. Sie wusste genau, was die junge Frau jetzt empfand. Sie kannte das Gefühl nur zu gut: Da war etwas unwiederbringlich kaputtgegangen.
‚Nein, nichts würde wieder gut werden‘, dachte die Wölfin.
Manche Wunden heilen einfach nicht.
Epilog
Am Vormittag nach der Festnahme Kris Manets zählte die Telefonistin der Präfektur nicht weniger als hundertachtundzwanzig Anfragen von Medienvertretern – Fernsehen, Radio und Presse – nach Interviews mit René Bavarois, Mafro oder der geheimnisumwitterten deutschen Psychologin, die angeblich den Fall des Facebook-Killers im Alleingang gelöst hatte.
Kris Manet kam in Untersuchungshaft und legte dort gleich am ersten Tag ein umfassendes Geständnis in allen ihm zur Last gelegten Fällen ab; besonderen Wert legte er auf die Feststellung, dass er den Mord an Jerome Delors bedauerte. Der Sänger sei zwar unter dem Strich ein verkommener Mensch gewesen, aber letztlich auch nur Opfer einer Frau – seiner Frau Marie-Ange, die er in seinen weitschweifigen Einlassungen abwechselnd als Engel und als Hure darstellte. Er bat Delors’ Familie um Verzeihung mit dem Argument, er habe damals die klar zu Lasten der Frau, der seit dem Paradies mit der Erbsünde beladenen Evasschlange, gehende Struktur von Schuld und Sühne einfach noch nicht durchschaut.
Die Spurensicherungsteams, die nach dem Sturm der GIGN auf Manets Waldhaus dort das Unterste zuoberst kehrten und keinen Quadratmillimeter seines gruseligen Unterschlupfs undurchleuchtet ließen, fanden an seiner Pinnwand des Schreckens an die tausend Polaroids, die seine Gräueltaten minutiös dokumentierten. Unter anderem gab es eines, auf dem er nackt, aber von Kopf bis Fuß blutbesudelt wie ein Metzger am Schlachttag, in den Händen ein Schwert und einen Stoßdolch, über einer völlig zerfetzten Leiche stand, die wohl die der unglückseligen Manon de Kock war.
Diese Fotografie gelangte irgendwie an die Medien. Die weniger seriösen, dafür aber umso sensationslüsterneren Blätter druckten sie ab, und sie begann einen Siegeszug durch die abgründigen Bereiche des Internets. Der Facebook-Killer war nach dem erzwungenen Verbindungsabbruch aus der U-Haft heraus in die virtuelle Welt zurückgekehrt, die er so liebte, und wurde Kult bei all den Freaks, Perversen und Abseitigen, die sich dort tummelten, wie er es einst getan hatte.
In langen Verhören, die in erster Linie Mafro und die Wölfin führten, machte er keinen Hehl daraus, dass Samuel Abou ein Mitwisser und zumindest stillschweigender Unterstützer seines Mordplans an Manon de Kock gewesen war, gab aber an, die Verbindung zu
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