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Inselzirkus

Titel: Inselzirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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M it der Ruhe war es vorbei. Noch am Vormittag hatte die Stille über dem Dorfteich von Wenningstedt gestanden, wie immer, wenn das Wetter so gut war, dass die meisten Touristen sich am Strand aufhielten. Zwar hatte das Wasser noch keine Badetemperatur, aber die Sonne, die mittags hervorgekommen war, machte den Aufenthalt am Meer angenehm. Kraft hatte sie noch nicht, doch fast jeder streckte ihr das Gesicht entgegen und genoss ihre Wärme, die kurz vor Ostern kostbar war.
    Nun aber war die Stille verflogen. Das Geklapper von Fahrrädern schreckte die Enten auf, Klingeln, quietschende Bremsen, Gelächter, laute Stimmen. Die Spaziergänger, die sich auf den Bänken am Dorfteich ausruhten, machten lange Hälse, der Küster öffnete die Tür der Friesenkapelle und trat neugierig auf die Straße. Alle schienen sich zu fragen: Was ist los? Wo wollen die vielen jungen Leute hin?
    Mamma Carlotta wusste es. Und sie wäre dem Strom gern gefolgt, aber Felix und Carolin hatten ihr leider das Versprechen abgenommen, sich zurückzuhalten. »Es ist peinlich, mit der Oma da anzutanzen!« Das fand Mamma Carlotta ärgerlich, aber versprochen war versprochen. Obwohl sie der Meinung war, dass sie es verdient hätte, der Sache aus der Nähe zuzuschauen. Schließlich hatte sie es ihren Enkeln ermöglicht, ihr Glück zu versuchen. Da wäre ein wenig Dankbarkeit angebracht gewesen.
    Ihr Schwiegersohn war strikt dagegen gewesen, aber Mamma Carlotta hatte die Pläne der Kinder verteidigt: »Lass sie doch, Enrico! Es ist ja nur ein Spaß!«
    Â»Ein Spaß?« Erik hatte seine Schwiegermutter mit einem vielsagenden Blick auf Carolin aufmerksam gemacht, die auf der Terrasse stand und mit entrückter Miene etwas in die Bäume deklamierte, was im Wohnzimmer nicht zu verstehen war. »Ich will nicht, dass ihr solche Flausen in den Kopf gesetzt werden.«
    Was Erik Flausen nannte, bezeichnete Carolin als »die Chance ihres Lebens«, und Felix sah es als Möglichkeit, »dicke Kohle zu machen«. Carolins Ambitionen gefielen Mamma Carlotta weitaus besser, aber ein zukünftiger Fußballprofi hatte eben eine andere Motivation als ein junges Mädchen, das sich soeben der Schauspielkunst verschrieben hatte.
    Mamma Carlotta konnte sich über die Haltung ihres Schwiegersohns nicht genug wundern. »Du bist wie die älteste Schwester meiner Mutter«, hatte sie Erik vorgehalten. »Tante Ilaria hat sich gegen alles gewehrt, was nicht alltäglich war. Nicht mal zu heiraten hat sie sich getraut. Sie wollte lieber als alte Jungfer sterben als an Aufregung.«
    Â»War das nicht die Tante, die hundert geworden ist?«, hatte Erik gefragt. »Da siehst du’s! Ein langweiliges Leben ist gesund.«
    Â»Hundert Jahre Langeweile?« Für Mamma Carlotta kam diese Möglichkeit nicht infrage. »Da sterbe ich lieber mit achtzig bei einem Flugzeugabsturz.«
    Tante Ilaria hatte sich selbstredend niemals getraut, ein Flugzeug zu besteigen, was Mamma Carlotta heute nur noch ein verächtliches Lächeln entlockte. Dass sie selbst, bevor sie zum ersten Mal von Rom nach Hamburg geflogen war, mehrere Rosenkränze gebetet hatte, erwähnte sie mittlerweile nicht mehr gern. Von Flugangst wollte sie nichts wissen und fürchtete auch keine himmlische Strafe mehr, weil sie sich etwas herausnahm, was für eine italienische Mamma eigentlich nicht vorgesehen war. Ihr Dino, Gott hab ihn selig, hätte das jedenfalls behauptet, wenn sie ihn um das Geld für ein Flugticket nach Sylt gebeten hätte.
    Das Leben bot so viel Unterhaltsames, wenn man sich nur darauf einließ. Wie konnte Erik mit Desinteresse und Widerwillen reagieren, wenn sich auf Sylt etwas so Aufregendes zutrug wie die Dreharbeiten zu einer Telenovela, die ganz Deutschland kannte und die in synchronisierter Fassung sogar in Italien gesendet wurde! Dort allerdings nur im Spätprogramm, eine ungünstige Zeit, da das Abendessen in der Familie Capella selten vor zehn Uhr endete.
    Aber Carlottas Schwiegertochter Sandra sorgte gelegentlich dafür, dass der Secondo ausfiel oder dass jedem Familienmitglied nur ein Pfirsich in die Hand gedrückt wurde, der dann Dolce genannt wurde. Damit konnte man sich vor den Fernseher setzen und die Telenovela »Liebe, Leid und Leidenschaft« sehen, die in Italien »L’amore, la pena e la passione« hieß.
    Seit bekannt war, dass der beliebte Filmstar

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