Der Facebook-Killer
sah, wie die Augenbrauen der Frau im Sessel gegenüber in die Höhe schossen; sie schien seine leicht derbe Ausdrucksweise zu missbilligen. „Pardon“, schob er nach.
„Kein Problem“, sagte sie leichthin. „Aber Sie haben da ein interessantes Thema angeschnitten: das Netz. Offenbar nutzen Sie es recht intensiv. Chats, Messenger, Foren, Onlinespiele, Second Life, soziale Netzwerke – was denken Sie darüber?“
„Es ist schon nicht ungefährlich, sich in diesen virtuellen Welt zu verlieren – sie sind so schön zwanglos und anonym“, antwortete Mafro. „Jedenfalls, da saß ich, klickte mich durch meine Chatfenster, und meine Zigarette war fast aufgeraucht, aber die nächste lag schon griffbereit.“
Sie warf einen anzüglichen Blick auf den überquellenden Alabasteraschenbecher, den sie sich, während er geduscht hatte, von der Glasplatte seines Computertischs geangelt hatte. Ja, sie hatte durchaus recht: Zigaretten waren schon immer seine ständigen Begleiterinnen gewesen. Mafro ohne qualmende Kippe im Mundwinkel war seit seinem achtzehnten Lebensjahr ein seltener Anblick, und seit der Sache mit Kyl waren es nicht weniger geworden. Überhaupt war Commissaire de Police Maxime Fronzac noch nie ein Kostverächter gewesen: Ein Glas Wodka mit einem Schuss Red-Bull hatte auch früher, in besseren Zeiten, immer in Reichweite gestanden, wenn er nicht gerade Dienst hatte.
Früher hatte er Red Bull-Wodka getrunken – heute trank er Wodka-Red Bull.
Die Fremde war aufgestanden und zu der Wand neben seinem Barregal geschlendert, wo zahlreiche gerahmte Fotos eine Art Menschengalerie an der Wand bildeten. Zielsicher pickte sie sich das Bild einer zierlichen jungen Frau mit langem rotem Haar heraus und beugte sich ein wenig vor, um das Porträt eingehend zu studieren.
„Ist das Ihre Freundin?“
„Ja. Oder besser gesagt: Sie war es. Sie hat mich vor drei Wochen verlassen.“
Was er ihr nicht verriet, war der Grund für Zoës Entscheidung Schluss zu machen: Sie hatte sich das Elend nicht mehr länger anschauen wollen. Eigentlich hatte Zoë ihn innerlich bereits viel früher verlassen, im Herbst des vergangenen Jahres, zu der Zeit, als das Schweigen immer als Gast mit ihnen am Tisch in der Wohnküche gesessen hatte. Sie brauche dringend mal eine Auszeit, hatte sie damals gesagt und sich dann mit einem anderen Mann vergnügt, was sie ihm später gestanden hatte, als sie merkte, dass Mafro ihr doch viel bedeutete. Früher, vor der Sache mit Kyl, wäre es für ihn unvorstellbar gewesen, es nach so einem Geständnis noch einmal mit ihr zu probieren. Ein Kuss eines anderen Mannes hätte genügt, sich von seiner Freundin zu trennen, aber er hatte sich damals, als sie ihm kurz vor Weihnachten, also vor etwas über einem Jahr, reinen Wein eingeschenkt hatte, gefragt, ob Sex, also eine rein körperliche Sache mit einem anderen Mann, es wert sei, die große Liebe aufs Spiel zu setzen. Schließlich hatte er sich dafür entschieden, sich und Zoë eine zweite Chance zu geben.
„Wir hatten im Herbst, Winter letzten Jahres eine ziemliche Krise“, nahm Mafro den Faden wieder auf. „Danach versuchten wir, die Sache zu klären und uns über alles aussprechen, Sie wissen schon, Erdbeerteegespräche und so, aber wir haben beide ziemlich schnell bemerkt, dass das im Grunde ein hoffnungsloses Unterfangen war. Der Bruch war nicht zu kitten, auch wenn wir es fast ein Jahr probiert haben, und aus scheinbaren Kleinigkeiten entwickelten sich große Probleme. Wir fingen an, aneinander vorbei zu leben.“
„Ich verstehe, was Sie meinen“, sagte seine geheimnisvolle Besucherin und nahm mit einer ihrer elegant fließenden Bewegungen wieder in dem Sessel ihm gegenüber Platz. „Irgendwann ist man dann außerstande, die Wünsche und Bedürfnisse des Partners zu achten, weil man sie gar nicht mehr zu erkennen vermag.“
Mafro starrte sie mit offenem Mund durch die Schwaden blauen Zigarettendunstes an. Genau so war es gewesen. Er fingerte eine Gauloise aus seiner eigenen Schachtel. Er war noch mit Anzünden beschäftigt – sein Einwegfeuerzeug lag wie scheinbar alle, die er besaß, in den letzten Zügen – da stellte sie eine Frage, die ihn komplett aus der Bahn warf.
„Lieben Sie sie noch?“
Zu seiner eigenen Überraschung hörte er sich sagen: „Sehr: Jeden Tag renne ich den Erinnerungen aus vergangenen, schönen Zeiten hinterher, ohne sie wieder aufleben lassen zu können.“ Mafro nahm einen tiefen Zug und schüttelte traurig
Weitere Kostenlose Bücher