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Der Facebook-Killer

Der Facebook-Killer

Titel: Der Facebook-Killer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hoffmann , Thommy Mardo
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kalte weiße Zipfelmützen trugen. Er kehrte zum Couchtisch zurück, trank den Côtes du Rhône in einem Zug aus und goss den Rest der Flasche in sein danach randvolles Glas, ohne den geringsten Gedanken auf Höflichkeit oder Gastfreundschaft zu verschwenden.
    Er wusste es ja: Wenn er nur genug trank, wenn er Alkohol ausreichend schnell in sich hineinschüttete, dann gingen die Bilder weg, zumindest für eine Weile. Die immer wiederkehrenden Bilder … er bekam sie einfach nicht aus dem Kopf. Weder tagsüber, wenn er hier oder auf dem Revier blicklos aus dem Fenster starrte, noch nachts in seinen Träumen. Überhaupt, die Träume … keine Nacht verging, ohne dass er hochfuhr, schweißgebadet, das Kopfkissen nass von Tränen, weil er im Traum wieder Kyl gehalten, wieder sein Blut gerochen, wieder zugesehen hatte, wie der Kleine sein Leben aushauchte …
    Mafro öffnete die Balkontür und trat hinaus in die Schneenacht. Die kalte Winterluft spendete ihm seltsamerweise ein wenig Trost. Er merkte gar nicht, wie sich Schnee auf seinem Kopf und seinen Schultern sammelte, wie sein Haar langsam feucht wurde. Langsam hob er den Kopf, blickte in den schneewolkenverhangenen Himmel, der sich über der schlafenden Stadt erstreckte. Die Lichter der großen Stadt färbten den Nachthimmel eigenartig grau-rosa. Er liebte seine Stadt – Paris, die Stadt der Liebe an der Seine. Mafro merkte, wie er in Gedanken abrutschte, sich entfernte von Kyl und Zoë, von Blut und einer gesteinigten jungen Frau, die an der Université Paris Ouest Jura studiert hatte, von ihrem bestialischen Mörder. Einem Mörder, den sie nie gefasst hatten und der vielleicht immer noch irgendwo da draußen lauerte.
    Sein Blick wanderte tiefer, auf die dunklen Häuserfronten im Innenhof seines Blocks. Wäscheleinen spannten sich quer darüber und wurden tagsüber auf quietschenden Rollen eingeholt. Sporttrikots, Jeans, Socken und mehr oder weniger schöne Unterwäsche gab es da zu bestaunen, und nicht selten amüsierte er sich über seine meist fremdländische, geliebte Nachbarschaft. Gut ein Jahr zuvor war er einmal durch undefinierbare Geräusche geweckt worden, und als er auf den Balkon trat, erblickte er einige tunesische Nachbarn, die gerade mitten im Hof ein Schaf schoren. Gerade im Sommer war hier viel los auf den Straßen, und alle Kulturen der Erde mischten sich in seinem Viertel. Dafür liebte er das Quartier Latin – fernab der inzwischen hip und touristisch gewordenen größeren Boulevards gab es hier immer etwas zu erleben und zu erzählen, es wurde nicht langweilig, und wenn doch, musste man sich nur eine Weile auf den Balkon stellen. Nachts hatte der Blick vom Balkon allerdings etwas Bedrohliches. Dunkle Backsteinmauern und wenige erleuchtete Fenster, im Sommer ab und an der vorbeihuschende Schatten einer Fledermaus und die Geräusche eines weit entfernt vorbeifahrenden TGV, gepaart mit der fast unheimlichen Stille nach drei Uhr in der Frühe, konnten schon ein wenig Gänsehaut erzeugen.
    Mafros Gedanken drehten sich wie eine Gebetsmühle: „Irgendwo da draußen bist du. Warum hast du das getan und warum haben wir dich nicht gefunden?“
    Aus der Küche ertönte ein durchdringendes „Ping“. Das waren schnelle siebzehn Minuten gewesen …
    „Die Lasagne ist fertig“, verkündete seine Besucherin mit ihrem kaum merkbaren und gerade deshalb unwiderstehlichen deutschen Akzent und erhob sich mit einer fließenden Bewegung aus dem grünen Brokatsessel. „Ich packe sie mal auf Teller.“
    Sie wollte hinüber in die Küche gehen. Mafro drehte sich so rasch um, wie es ihm sein bereits wieder alkoholvernebelter Geist gestattete, packte sie am Arm – der Pullover fühlte sich weich an, und sie roch verdammt gut, registrierte er – und hielt sie zurück.
    „Warten Sie“, sagte er leidlich artikuliert, aber mit unverkennbar schwerer Zunge. „Sie … Sie sind dran. Wer sind Sie, und was wollen Sie eigentlich verflucht noch mal von mir?“
    Sie sah ihm mit diesen seltsamen grünen Augen zum ersten Mal voll ins Gesicht.
    „Mein Name ist Geza Wolf. Meine Freunde – und zunehmend auch meine Feinde – nennen mich gern mal ‚die Wölfin‘. Ich komme aus Deutschland, genauer gesagt aus Mannheim. Früher war ich Polizeipsychologin, heute arbeite ich als freiberufliche Psychotherapeutin.“
    Sie hielt einen Moment inne.
    „Was die Frage angeht, was ich von Ihnen will – gar nichts, Monsieur le Commissaire Fronzac. Sie wollen etwas von mir, auch wenn

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