Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
Karl wohl macht? Soweit Stave weiß, verdient sein Sohn, seit er aus der russischen Kriegsgefangenschaft entlassen worden ist, den Lebensunterhalt mit dem Tabak, den er im Schrebergarten zieht. Kaum bin ich wach, mache ich mir Sorgen um ihn, denkt er. Das wird nie aufhören. Er würde seinen Sohn gerne öfter in dessen Schrebergarten sehen, doch irgendwie hat Karl ihn spüren lassen, dass es ihm unangenehm ist, seinen Vater dort zu haben.
Er deutet auf Karls Mantel. »Es regnet?« Überflüssige Frage, doch er will, dass das Schweigen nicht zu lange andauert.
»In diesem Jahr wird niemand in Hamburg verdursten, das ist mal sicher.«
»Ist das gut für den Tabak oder nicht?«
Der Junge zuckt gleichmütig mit den Achseln. »Apropos Tabak«, flüstert er und beugt sich näher zu seinem Vater hin. »Die Stukas nebenan sind wahrscheinlich unglücklich, wenn ich mir eine Zigarette anstecke?«
»Manchmal hilft es schon, wenn man sich einen Glimmstängel zwischen die Lippen klemmt, aber nicht anzündet. Das beruhigt die Nerven und die Schwestern. Du solltest nicht so viel rauchen. Das ist nicht gut für die Lunge.«
Karl lacht so laut auf, dass Schwester Franziska tatsächlich einen warnenden Blick über den Paravent wirft. »Deine Lunge ist löchriger als meine!«
»Weißt du, ob sie den Täter verhaftet haben?«
»Ja, sie haben den Kerl geschnappt. Der Schuss hat deine Kollegen ganz schön in Aufregung versetzt. Sie haben ihn zwischen den Trümmern überwältigt und …«, Karl zögert kurz, »und ihm eine Abreibung verpasst, nach allem, was man so hört.«
»Eine Abreibung?«
»Der Mann muss zumindest ziemlich übel ausgesehen haben, als er endlich in der Zelle saß. Es gab darüber einen Artikel in der ›Zeit‹. Nur einen, und der war auch kurz«, setzt er hastig hinzu, als er sieht, dass sein Vater die Augen schließt.
Da werde ich Cuddel Breuer einiges zu erklären haben, denkt Stave. Und vielleicht auch Staatsanwalt Ehrlich. Wenn eine Sache schiefgeht, dann geht sie auch richtig schief. Immerhin haben wir den Mörder.
Eine zähe halbe Stunde verrinnt im stockenden Gespräch. Stave würde seinen Sohn gerne vieles fragen: Willst du nicht endlich was Vernünftiges machen? Hast du endlich neue Freunde? Oder gar ein Mädchen? Aber Karl ist immer so abweisend, wenn es um ihn selbst geht. Und dem Oberinspektor fehlt die Kraft, geschickt und vorsichtig nachzuhaken. Der Junge redet bloß Belangloses, erzählt vom schlechten Wetter und von einem Fußballspiel des HSV. Er knetet seine Hände. Nikotingelbe Finger, bemerkt Stave.
»Du kannst ruhig eine rauchen gehen«, sagt er. »Ich brauche ein bisschen Ruhe.«
Karl nickt erleichtert. »Ich komme die nächsten Tage wieder.« Er hebt die Hand, eine linkische Geste, halb ein Winken, beinahe noch so etwas wie der Hitlergruß, dann schließt er die Tür hinter sich.
Der Junge hinter dem Paravent summt eine Melodie. Jazz, denkt Stave, und schließt erschöpft die Augen.
Doch der Schmerz, den er nach dem Schuss so herbeigesehnt hat, lässt ihn nun nicht einschlafen. Seine Gedanken wandern zu Anna. Wie lange hat er sie nicht mehr gesehen? Ein halbes Jahr? Ob sie überhaupt weiß, dass er im Krankenhaus liegt? Kein Selbstmitleid, ermahnt er sich.
Seine Geliebte. Oder seine ehemalige Geliebte. Er erinnert sich daran, wie Anna von Veckinhausen im letzten Sommer für viele Reichsmarkbündel bei einem Juwelier in den Colonnaden einen Ehering ausgelöst hat. Ihren? Er weiß fast nichts über ihr Leben vor dem Krieg und ihrer Flucht nach Hamburg. Vielleicht weiß jemand anderes mehr. Der Oberinspektor denkt an ihr angeregtes Gespräch mit dem Staatsanwalt in einem Café. An den heimlichen Auftrag, den sie für Ehrlich erledigt: seine von den Nazis geraubten Kunstwerke wieder aufzuspüren. Und an die traurigen Worte, die sie an ihn, Stave, gerichtet hat.
Sie waren nur wenige Monate ein Paar gewesen, ein paar Restaurant- und Theaterbesuche zusammen, einige gemeinsame Nächte, seltene Wochenenden in gestohlener Zweisamkeit. Immer hatte er zu viel zu tun. Und dann war auch noch Karl aus dem Krieg zurückgekommen, und Stave schaffte es nicht, den ihm fremd gewordenen Sohn bei sich aufzunehmen und zugleich Anna zu halten. Sie trennten sich, ohne Streit, eher resigniert, wie nach einem verlorenen Kampf.
Er sehnt sich nach Annas Lächeln, nach dem Duft ihres Haares, nach ihrer Haut. Er denkt an Karls belanglose Sätze eben. An die Tage, die er schon in diesem Krankenhaus
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