Der Falke des Pharao
erhöhten Sitz saß ein älterer Mann, dessen Hände an den Gelenken geschwollen waren. Die Haut seiner Handinnenflächen und Finger war weich und mit roter und schwarzer Schreibpaste beschmutzt. Meren näherte sich zügig, ohne darauf zu achten, ob ihm jemand im Weg stand, was die Gehilfen dazu veranlaßte, ihm eilends auszuweichen.
Der alte Mann blickte von einem Papyrus auf, als Meren drei Männer vertrieb, die sich über seinen Tisch beugten. Der alte Mann wandte sich wieder seinem Papyrus zu und bellte Meren an: »Schnell, Junge, was ist Unsterblichkeit?«
Meren lächelte und antwortete: »Ein Buch, denn der Leib des Menschen ist Staub und seine Nachkommen sind vergänglich, seine Worte aber bewirken, daß man sich durch den Geschichtenerzähler an ihn erinnert.«
»Ausreichend«, sagte der alte Mann. Er schob seine Papyrusrolle einem der Gehilfen zu. »Komm her, Junge, und berichte mir, aus welchem Grund der Vertraute des Pharao den Weg zu seinem alten Lehrer findet.«
Ein Schreiber brachte einen Stuhl herbei. Der Mann setzte ihn in der Nähe seines Herrn ab, aber Meren stützte sich lediglich auf die Rückenlehne. »Meister Ahmose, ein Unheil ist geschehen.«
»Und es gibt Sand in der Wüste und Wasser im Nil. Dein Ka zieht das Unheil an wie eine Hure die Seeleute.«
»Ich suche nicht nach Unheil.«
»Dein Vater war von ähnlicher Natur, und das ist der Grund, warum der Ketzer ihn ermordete. Wenigstens hast du aus seinem Beispiel gelernt.«
Als sein Vater erwähnt wurde, senkte Meren die Augen. Er nahm eine Hand von der Stuhllehne und berührte mit den Fingerspitzen den bronzenen Dolch an seinem Gürtel. Das kalte Metall brachte seinem Ka Erleichterung, und er blickte wieder auf.
Ahmose beobachtete ihn. »Du hast viel gelernt.«
»Ich bin kein Knabe mehr, Meister Ahmose, ich möchte mit Euch über einen Eurer Beamten sprechen. Hormin, ein Schreiber im Amt für Aufzeichnungen und Tributzahlungen. Er wurde im Tempel des Anubis ermordet.«
»Ich weiß. Einer der Priester kam her, um mir davon zu berichten.«
Ahmose erhob sich und kletterte von dem Podest herunter. Meren folgte ihm, und sie gingen hinaus in den Hof. Ahmose nahm auf einem Stuhl unter dem Maulbeerfeigenbaum neben dem kleinen Teich Zuflucht vor der Sonne. Meren setzte sich ihm zu Füßen.
»Nun, Junge, warum suchst du nach dem Mörder? Hormin war ein streitsüchtiger Mensch, erfüllt von Haß und Bitterkeit. Es besteht keine Notwendigkeit, denjenigen ausfindig zu machen, der so viele von einer heimtückischen Plage befreit hat.«
Meren schüttelte den Kopf und betrachtete einen gelben Fisch im Teich. »Mord ist eine Sünde gegen Ma’at, die göttliche Ordnung und Gerechtigkeit. Ihr habt mich gelehrt, was Ma’at ist, und nun soll ich es zulassen, daß die Harmonie des Pharaoschen Königreiches gestört wird?«
»Hormin war an sich schon eine Störung«, sagte Ahmose. »Ich kenne dich, Meren. Du wirst nicht aufhören Nachforschungen anzustellen, bis du den Löwen in die Wüste gejagt hast, den Wasservogel mit deinem eigenen Wurfgeschoß erledigt hast. Aber denke darüber nach. Egal wie viele Rebellen du bezwingst oder Verbrecher du in die Wüste verbannst, du wirst niemals die Ungerechtigkeit, die deinem Vater widerfahren ist, sühnen können.«
Meren erhob sich und blickte Ahmose in die Augen. »Werdet Ihr mir sagen, wen ich befragen soll, oder werde ich Tage damit verbringen müssen, mit jedem Mann in der Amtsstube des Ministeriums für Abgaben und Tributzahlungen zu sprechen?«
Mit seinem schwarzverschmierten Finger zog Ahmose die Form des Hieroglyphen des Ka nach.
»Hormins Haut glänzte ständig«, sagte Ahmose. »Als ob er ein Schlauch wäre, in den jemand Öl gegossen hatte, das auslief. Er hatte die Angewohnheit, seinen kleinen Finger in sein Ohr zu bohren, wenn er sprach, und er badete nicht häufig genug. Schon allein aufgrund dieser Verfehlungen hätte ich diesen Mann ins Jenseits befördert. Also, mein Junge, geh nicht fort. Ich werde dir erzählen, was du wissen mußt. Sein jüngerer Sohn, Djaper, war sein Assistent. Er ist gewandt wie ein Leopard und besitzt die Zunge eines Höflings. Obwohl ich nicht weiß, woher er diese Fähigkeit hat, wenn man sich seinen Vater vorstellt.«
»Wo ist dieser Sohn?«
Ahmose hob ein Feigenblatt vom Boden auf und zerrieb es zwischen seinen Fingern. »Er ließ ausrichten, daß er heute morgen später kommen werde. Er gab keine Gründe an, aber nachdem der Priester des Anubis
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