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Der Fall Charles Dexter Ward

Titel: Der Fall Charles Dexter Ward Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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Erfolg all dieser verspäteten Vorsichtsmaßnahmen gering bleiben. Curwen wurde weiterhin gemieden und mit Mißtrauen betrachtet, was schon durch die eine Tatsache seiner scheinbar ewigen Jugend bei tatsächlich hohem Alter gerechtfertigt gewesen wäre; und er sah voraus, daß seine kaufmännischen Geschicke sich schließlich zum Schlechten wenden würden. Für seine umfangreichen Studien und Experimente, welcher Art sie auch immer gewesen sein mögen, brauchte er offenbar ein sehr hohes Einkommen; und da ein Ortswechsel ihn um die Handelsvorteile gebracht hätte, die er sich verschafft hatte, hätte es sich für ihn nicht ausgezahlt, zu diesem Zeitpunkt noch einmal in einer anderen Gegend von vorne anzufangen. Die Vernunft gebot, daß er seine Beziehungen zu den Bürgern von Providence notdürftig in Ordnung brachte, damit seine Anwesenheit fortan nicht mehr Anlaß zu gedämpften Unterhaltungen, durchsichtigen Ausflüchten und einer allgemeinen Atmosphäre der Bedrückung und des Unbehagens gab. Seine Leute, bei denen es sich jetzt nur noch um arbeitsscheues, mittelloses Gesindel handelte, das nirgendwo anders unterkam, bereiteten ihm ernste Sorgen; und er konnte seine Kapitäne und Maate nur halten, weil er gerissen genug war, sie auf irgendeine Art unter Druck zu setzen - durch eine Hypothek, einen Schuldschein oder dadurch, daß er über Dinge Bescheid wußte, die für ihr Wohlergehen von größter Bedeutung waren. In vielen Fällen, so vermerken die Chronisten mit einer gewissen Scheu, habe Curwen sich geradezu als Hexenmeister in der Aufspürung von Familiengeheimnissen für fragwürdige Zwecke erwiesen. In den letzten fünf Jahren seines Lebens schien es, als hätte er sich nur durch direkten Kontakt mit längst Dahingeschiedenen einige der Informationen verschaffen können, die er dann im rechten Moment ohne Zögern auszuplaudern bereit war.
    Ungefähr zu diesem Zeitpunkt stieß der wackere Gelehrte auf einen letzten verzweifelten Ausweg, um sein Ansehen in der Gemeinschaft zurückzugewinnen. Während er bis dahin ganz und gar Einsiedler gewesen war, entschloß er sich nun, eine vorteilhafte Ehe zu schließen und sich als Braut eine junge Dame zu wählen, deren gesellschaftliche Stellung die Ächtung seines Hauses fortan unmöglich machen würde. Es kann sein, daß er außerdem auch tiefere Gründe hatte, eine solche Verbindung anzustreben; Gründe so weit außerhalb der kosmischen Sphäre, daß nur Papiere, die anderthalb Jahrhunderte nach seinem Tode gefunden wurden, jemanden auf ihre Spur bringen konnten; aber darüber wird man nie etwas erfahren. Natürlich war er sich darüber im klaren, mit welchem Entsetzen und welcher Entrüstung man in jeder normalen Familie einem Heiratsbegehren seinerseits begegnen würde, weshalb er nach einer möglichen Kanditatin Ausschau hielt, auf deren Eltern er einen angemessenen Druck würde ausüben können. Aber solche Kandidatinnen waren, das mußte er feststellen, gar nicht leicht zu finden, denn erstellte ganz besondere Anforderungen an Schönheit, Charakter und gesellschaftliche Stellung. Schließlich konzentrierte sich sein Interesse auf das Haus eines seiner besten und ältesten Schiffskapitäne, eines Witwers von untadeliger Abstammung und makellosem Ruf namens Dutie Tillinghast, dessen einzige Tochter Eliza mit allen erdenklichen Vorzügen außer der Aussicht auf eine reiche Erbschaft ausgestattet schien. Kapitän Tillinghast war völlig in Curwens Gewalt und erklärte sich nach einer schrecklichen Unterredung in seinem von einer Kuppel überwölbten Haus auf dem Power's Lane-Hügel bereit, der gotteslästerlichen Verbindung seinen Segen zu geben.
    Eliza Tillinghast war damals achtzehn Jahre alt; sie war mit aller in Anbetracht der bescheidenen Mittel ihres Vaters nur möglichen Sorgfalt erzogen worden. Sie hatte die Stephen Jackson-Schule gegenüber dem Gerichtsgebäude besucht und war von ihrer Mutter, bevor diese im Jahre 1757 an den Pocken gestorben war, aufs trefflichste in allen häuslichen Tugenden und Fertigkeiten unterwiesen worden. Ein besticktes Tuch, das sie 1753 im Alter von neun Jahren angefertigt hat, kann noch heute in den Räumen der Historischen Gesellschaft von Rhode Island besichtigt werden. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte sie den Haushalt geführt, mit einer alten Negerin als einziger Dienerin. Ihre Auseinandersetzungen mit ihrem Vater über die beabsichtigte Vermählung mit Curwen müssen in der Tat schmerzlich gewesen sein, doch darüber ist

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