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Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Dobelli
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Zürich - New York. Abflug mit Verspätung, wofür sich bei mir niemand zu entschuldigen braucht - schon gar nicht der Pilot.
    Verspätungen sind meine Rettung vor der Realität. Man erreicht den Punkt, wo man sich nach nichts anderem sehnt als nach einer Flugzeugkabine, Business oder First. Spiel mit der Sitzsteuerung, was auch nichts ändert. Offenbar war's einer am Gate, der ein Theater gemacht hat, einer, der nicht wußte, ob er fliegen soll oder nicht. Es ist lachhaft.
    Wenn einer nicht weiß, was er will, dann soll er bitteschön in Therapie - statt dreihundert Passagiere aufzuhalten. Es gehört zum Leben, daß man weiß, was man will.
    An Bord: ein Jude, der vor dem Start im Gang seine Gebete hochschickt. Er betet für alle, auch für mich, anders geht es gar nicht.
    Start Richtung Süden. Runway 16. Das Fauchen der Triebwerke. Das Abkippen der Schwerkraft. Zürich. Der See eine Sichel im Grauweiß der Landschaft, das Geschmier von Häusern und Straßen und Ortschaften an den Rändern. Weit hinten das Weiß der Alpen. Die Alpenkette wie sauber geputzte Zähne. Die nicht enden wollende Rechtskurve. Plötzlich Sicht auf den Flughafen von oben. Maschinen wie Spielzeuge auf den Taxiways. Der Schatten der eigenen Maschine, wie er über die verschneiten Felder flattert. Der rote, dicke Strich auf dem Monitor, der anzeigt, daß es jetzt endlich vorwärts geht, nach Westen. Rechts der Schwarzwald, die Vogesen im Dunst. Basel. Der Rhein. Frankreich.
    Ich muß eingeschlafen sein. Als die Flugbegleiterin mir auf die Schulter tippt: Meer, so weit das Auge reicht. Ich entscheide mich für südafrikanischen Merlot. Zwei Scheiben geräucherter Lachs auf einem Tellerchen, dazu ein Brötchen und Butter aus heimischer Produktion.
    Jemand hat dem Meer Dauerwellen verpaßt.
    Ihre Brüste sind klein, aber schwer wie volle Cappuccinotässchen, sie liegen tief, was mich nicht stört, im Gegenteil, ich finde sie aufreizend, gerade in Proportion zu ihrem sehr schlanken Körper. Ihr Haar ist schwarz, aber nicht pechschwarz, und wollte man es malen, so wäre man gezwungen, etwas Weiß beizumischen. Wenn sie den Kopf dreht, dann schwingen die Spitzen wie ein Jahrmarkt-Karussell über ihre Schultern. Irgendwie ist alles etwas anders, und doch paßt alles zusammen. Eine Handanfertigung, dieser Körper. Gott hatte entweder einen Anflug von Genie, oder er war betrunken, als er diese Frau geschaffen hat. Ich stelle mir Josephine in der wilden Natur vor und sehe einen Löwen, der sie verschlingt.
    Wir steigen weiter.
    Das war kein Meer, sondern der Ärmelkanal.
    Im Flugzeug Zeitung lesen: groß aufgemacht die Wetterprognose für ein Land, das man soeben zurückgelassen hat.
    Ich bin erfolgreich und hasse dieses Wort. Dabei nicht mehr jung - 42. Trotzdem, in meinem Alter viertausend Leute zu führen ist keine Selbstverständlichkeit. Das weiß ich auch. Aber warum Erfolge an die große Glocke hängen? Wenn ich von Unbekannten gefragt werde, was ich beruflich mache, dann antworte ich: Ich arbeite bei einer Bank. Wird nachgeforscht, sage ich: Ich bin verantwortlich fürs Private Banking. Das genügt meistens. Ich imponiere den älteren Herren des Aufsichtsrates, das merke ich. Sie brauchen einen Jüngeren, den sie als ihren Nachfolger betrachten können, zumindest als Möglichkeit, einen, der so denkt und handelt wie sie - zurückhaltend und überlegt. Sie mögen mich. Das weiß ich. Ihre Fragen zum Jahresabschluß meines Geschäftsbereichs sind nicht ohne Tücken. Sie testen mich mit ihren Fragen. Meine Antworten entwaffnen sie. Ich lüge nie. Ich verschweige höchstens die eine oder andere Begebenheit, die mir nicht relevant erscheint. Wenn ich vom Aufsichtsrat eingeladen bin, über das Wealth Management, wie sie das Private Banking neuerdings nennen, zu referieren, dann kleide ich mich tadellos, aber nicht übertrieben modisch. Keine breiten italienischen Krawatten, keine hellen französischen Sakkos. Die Schuhe klassisch schwarz, obwohl braun gerade Mode ist, auch zu dunklen Anzügen. Ich kleide mich, wie es meiner Natur entspricht, einfach, diskret, sachlich. Meine Garderobe hinkt dem allgemeinen Zeitgeschmack zwölf bis vierundzwanzig Monate hinterher - was gerade richtig ist. Das gibt ihnen das Vertrauen, daß ich ein Mann der Vernunft bin, professionell, aber bodenständig, sympathisch, einer von ihnen. Niemand möchte eine Schaufensterpuppe als Geschäftsleiter. Dabei gebe ich mir keine besondere Mühe, sympathisch zu erscheinen: Angebot

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