Der Fall Charles Dexter Ward
Meinung geht dahin, daß er sich irgendeine erniedrigende, anspruchslose Beschäftigung gesucht habe und sich so lange versteckt halten wolle, bis seine Kenntnis moderner Dinge einen normalen Stand erreicht habe.
Wann Wards geistige Umnachtung begonnen hat, darüber sind die Nervenärzte unterschiedlicher Auffassung. Dr. Lyman, dieüberragende Kapazität aus Boston, ist der Ansicht, es sei 1919 oder 1920 gewesen, während des letzten Jahres des jungen Ward an der Moses Brown-Schule, als er plötzlich dem Studium der Vergangenheit entsagt und sich dem Studium des Okkulten zugewandt und sich geweigert habe, die Qualifikation für das College zu erwerben, mit der Begründung, er müsse private Forschungen von weit größerer Bedeutung treiben. Für diese Theorie sprechen sicherlich die veränderten Gewohnheiten Wards zu jener Zeit und besonders sein beständiges Herumstöbern in den Stadtarchiven und die Suche nach einem im Jahre 1741 angelegten Grab auf den alten Friedhöfen; es handelte sich um das Grab eines Ahnen namens Joseph Curwen, von dem Ward einige Papiere hinter der Holztäfelung eines uralten Hauses in Olney Court, auf Stampers Hill, gefunden haben wollte, von dem man wußte, daß Curwen es zu seinen Lebzeiten bewohnt hatte.
Nun ist es tatsächlich unbestreitbar, daß sich im Winter 1919-1920 eine auffallende Veränderung mit Ward vollzog; er gab unvermittelt seine allgemeinen Altertumsforschungen auf und betrieb -'zu Hause und anderswo -okkulte Studien, die er nur unterbrach, um nach dem Grab seines Vorfahren zu suchen.
Dr. Willett dagegen widerspricht dieser Theorie nachdrücklich; er gründet sein Urteil auf seine enge und seit langem bestehende Bekanntschaft mit dem Patienten sowie auf bestimmte schreckliche Nachforschungen und Entdeckungen in der letzten Zeit. Diese Nachforschungen und Entdeckungen sind nicht spurlos an ihm vorübergegangen; seine Stimme zittert, wenn er darüber spricht, und seine Hand zittert, wenn er darüber zu schreiben versucht. Willett räumt ein, daß die Veränderung der Jahre 1919-1920 gemeinhin als der Beginn eines progressiven Verfalls angesehen werden könnte, der in der furchtbaren, traurigen und unheimlichen Umnachtung des Jahres 1928 gipfelte, ist aber aufgrund persönlicher Beobachtungen der Ansicht, daß eine feinere Unterscheidung gemacht werden müsse. Während er bereitwillig zugibt, daß der Junge immer von unausgeglichenem Temperament und in seinen Reaktionen auf die Erscheinungen seiner Umwelt reizbar und äußerst überschwenglich gewesen sei, will er es auf keinen Fall wahrhaben, daß jene frühe Veränderung den tatsächlichen Übergang von der Verstandesklarheit zum Wahnsinn markiert habe; statt dessen beruft er sich auf Wards eigene Aussage, er habe etwas entdeckt oder wiederentdeckt, dessen Auswirkung auf das menschliche Denken wahrscheinlich wunderbar und tiefgreifend sein werde.
Die eigentliche geistige Umnachtung, davon ist Willett überzeugt, kam mit einer späteren Veränderung; nachdem Curwens Porträt und die alten Papiere entdeckt waren; nachdem eine Fahrt an sonderbare, ferne Orte unternommen worden und bestimmte schreckliche Beschwörungen unter geheimnisvollen Umständen gesungen worden waren; nachdem gewisse Antworten auf diese Anrufungen deutlich vernehmbar geworden waren und ein verzweifelter Brief unter quälenden und unerklärlichen Umständen geschrieben worden war; nach der Welle des Vampirismus und den ominösen Gerüchten in Pawtuxet; und nachdem das Gedächtnis des Patienten begonnen hatte, gegenwärtige Bilder auszuschließen, während seine Stimme versagte und seine äußere Erscheinung jene fast unmerklichen Veränderungen durchmachte, die später von so vielen Leuten bemerkt wurden.
Erst um diese Zeit, so versichert Willett mit Nachdruck, hätten sich die nachtmahrhaften Merkmale bei Ward gezeigt, und der Arzt bekennt schaudernd, er sei überzeugt, es gebe genügend handfestes Beweismaterial für die Richtigkeit der Behauptung des jungen Mannes über seine entscheidende Entdeckung. Zum einen sahen zwei intelligente Arbeiter mit eigenen Augen, wie die alten Papiere von Joseph Curwen gefunden wurden. Zum zweiten zeigte ihm der junge Mann einmal diese Papiere sowie eine Seite aus Curwens Tagebuch, und jedes dieser Dokumente wies alle Anzeichen von Echtheit auf. Das Loch, in dem Ward sie gefunden haben wollte, ist sichtbare Wirklichkeit, und Willett konnte einen abschließenden und sehr überzeugenden Blick auf sie werfen, durch
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