Der Fall D. - Eine Stalkerin packt aus
war in dieser Beziehung, ist für den
Augenblick nicht wirklich relevant, nicht wichtig, und gleichzeitig ist es immens
wichtig, weil es Teil einer Geschichte ist. Dieser Geschichte, Danielas Geschichte.
Sie
ist krank genug, um bald verrentet zu werden. Sie ist herzlich, aufmerksam, hat
ein großes Talent für Musik. Ihre Wohnung ist liebevoll eingerichtet, aber sie
hat auch viele Sorgen. Arbeiten geht nicht richtig, ihre Gesundheit. Gelernt
hat sie was, ja, aber erst spät.
Alles,
was sie begonnen hat, warf sie wieder hin, beendete es nicht. Heute kann sie nicht
mehr, wie sie will, wie es gedacht war, packt es einfach nicht. Psychisch,
physisch … Hartz IV streckt die tentakelartigen Fänge nach ihr aus, ihre Existenz
bereitet ihr Sorgen. Mehr als nur Sorgen.
Wir
reden. Über gemeinsame Freunde, Kinder, Pläne, Berufe, Leute – über uns. Wir
sind Freundinnen, etwas in dieser Art jedenfalls, uns gehen die Themen so
schnell nicht aus. Daniela ist unbefangen, gleichzeitig nervös. Ihre Nägel sind
kurz, manche abgekaut. Ihre Lider zucken manchmal, ihr Blick ist hier und da
unsicher, hektisch. Sie weint, und sie lacht. Daniela ist ein toller Mensch.
Ein trauriger Mensch. Ein lustiger Mensch. Und ein erbärmlicher Mensch.
Was
uns verbindet, lässt sich schwer sagen. Warum wir überhaupt Freundinnen wurden,
noch weniger, und doch ist es eine Art von Beziehung, die man so nennen kann.
Nicht ohne Wenn und Aber, nicht bedingungslos und bis dass der Tod und
scheidet, nicht in einer Art, dass die eine immer für die andere da wäre, denn
bei allen Innigkeiten gibt es doch Welten, die uns trennen. Moralische Welten.
Mit
Daniela befreundet zu sein ist eine Herausforderung, die mir nicht nur viel
gibt, weil sie in vielen Bereichen ein wunderbarer Mensch ist, mit dem man
Stunden über Stunden hinweg Spaß haben und reden kann, bei der man auf offene
Ohren trifft und ehrliche Antworten hört. Diese Freundschaft ist auch deshalb
eine Herausforderung, weil sie ein Mensch ist, der zum Himmel fliegt, um kurz
darauf in die Hölle zu stürzen. Und jeder Sturzflug ist vergleichbar mit einem
Weltuntergang, der sie zum Star eines Dramas kreiert, zum Mittelpunkt des Seins
– ihres Seins uns des Seins all derer, die in diesem Augenblick Teil ihres
Lebens sind. Ein Sturzflug, auf dem sie mehr als einmal andere mitgerissen hat.
Realitäten beginnen zu verschwimmen, Verständnis wechselt mit Unglauben,
Abscheu und Wut und Tatsachen werden zu Fiktion. Im Wettlauf der Emotionen hat
die Niederlage wieder einmal die Oberhand bekommen. Was jetzt kommen wird, ist
eine Wiederholung alter Erfahrungen – ein neues Gewand um dasselbe. Eine neue
Liebe ist gestorben.
Der
Auslöser unseres jetzigen Gesprächs beginnt vor einigen Wochen mit einem der unglaublichen
Himmelsflüge, zu denen Daniela in der Lage ist. Sie begegnet Maik und in
Nullkommanichts ist es um sie geschehen. Binnen weniger Tage füllt dieser Mann
ihren gesamten Lebensraum aus und es ist kein Gespräch mehr mit ihr möglich, in
dem es nicht um ihn, um ihr neues Glück geht. Sie ist glücklich, strahlend,
blüht auf, so verliebt, dass es fast schon wehtut.
Nicht
aus Neid oder Missgunst. Ein Außenstehender könnte es vielleicht so auffassen.
Es ist mehr die Art dieser vollständigen Hingabe, ihre selbstaufgebende Aura,
die Bedenken weckt, zur Vorsicht mahnt. Daniela hört auf, als eigenständiger
Mensch zu existieren und wird zur Frau an Maiks Seite. Ein Teil eines anderen
Lebens, zu dem ihr Selbst nicht mehr gehört.
Wenige
Wochen, dann das Aus. Vom Himmel auf geradem Weg hinunter in den alles
vernichtenden Höllenschlund. Ihre Liebe wird nicht so erwidert, wie sie hofft.
Wohl gibt es Sympathien, aber nicht genug, nicht so viel, wie notwendig ist. Das
vorzeitige Welken einer aufkeimenden Frucht ist die Konsequenz.
Und
es ist gleichzeitig die Zeit, in der in Daniela etwas aufbricht, das hoffen
lässt. Zum ersten Mal gesteht sie sich ein, dass etwas mit ihr nicht stimmt.
Sie gesteht es sich nicht nur ein, sie bringt es sogar auf den Punkt.
„Ich
bin eine Stalkerin.“ Endlos traurig sitzt sie da mit ihrer Erkenntnis. So
traurig, dass man Angst haben kann, ihr Lebensmut würde schwinden.
Das
Ende einer Liebe war und ist für sie zeit ihres Lebens Anlass gewesen, um den
begehrten, aber flüchtenden Menschen umkehren zu wollen. Zu sich umkehren.
Sie
muss reden, ausdiskutieren, Ungereimtheiten klären, nachlaufen, immer und immer
wieder. Anrufe, Besuche, später E-Mails und SMS,
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