Der Fall Maurizius
Vater verhärtet und ihn selbst zu schmählicher Einsamkeit verdammt hatte, war in seinem verbitterten Gemüt alsbald kein anderer Hang mehr als der nach Vergeltung. Wenn er weiterzuleben begehrte, war es bloß, um die Stunde der Reue und der Rückkehr des geliebten Verlorenen abzuwarten. Darauf zählte er, auf ein ungeheures rächendes Schicksal lauerte und hoffte er in seinem finsteren Kummer. Es kam, aber es kam anders, als er gedacht, vernichtend auch für ihn.
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In den ersten zwei Jahren schien das Zusammenleben des Paares ungetrübt zu sein. Leonharts Freunde hatten ihn ja stets von niedriger Berechnung bei diesem Bündnis freigesprochen, jede Bezichtigung sogar entrüstet zurückgewiesen und keine andern Motive gelten lassen als freundschaftliche Zuneigung, Anhänglichkeit und Dankbarkeit. Sie sagten, die Frau habe den ewig Schwankenden, leicht Verführbaren vor den Gefahren gerettet, die ihm der eigene Charakter bereitete. Sie halte ihn mit starker Hand, und daß sich seine Reizbarkeit, seine Menschensucht, sein flackerndes Wesen gemildert hatten, sei allein ihr Verdienst. Liebe – wer könne da eindringen, wer wolle unterscheiden, was in einer so merkwürdigen Beziehung »wirkliche Liebe« sei und was gegenseitige Achtung, gegenseitige Kenntnis und Übung der für eine harmonische Existenz erforderlichen Eigenschaften? Was sei überhaupt »wirkliche Liebe«? Schema von Romanlesern, die Zeit streife dem Begriff seine schillernden Lügenhäute ab. Die Frau jedenfalls hänge mit opferfähigem Gefühl an ihm, mit innigem Glauben, mit unabgewendeter Aufmerksamkeit; vielleicht sei dies »wirkliche Liebe«, und daß die seine vielleicht nicht so ganz »wirklich« sei, spiele keine große Rolle und brauche niemand Kopfzerbrechen zu verursachen. Sicher ist, daß Leonhart Maurizius in jener Periode mehrere seiner geschätztesten Arbeiten veröffentlichte und daß man von einem Regierungsauftrag sprach, den er erhalten sollte, einer spanischen Studienreise.
Doch von einem gewissen Zeitpunkt ab veränderte sich die Meinung der Welt über die Mauriziussche Ehe, und es gingen Gerüchte um, die von Zerwürfnissen erzählten. Es hieß, Elli habe von der Beziehung Leonharts zu einer Tänzerin erfahren. Diese Beziehung lag allerdings ein Jahr vor der Ehe; aber es war aus ihr ein Kind entsprossen, ein Mädchen, und eines Tages wurde Leonhart von der inzwischen ins Elend geratenen Mutter durch einen Anwalt zur Erfüllung seiner Vaterpflichten, zur Erhaltung des Kindes ermahnt. Leonhart hatte es seiner Frau verschwiegen, von dem ganzen Erlebnis wußte sie nichts, dagegen weihte er die Schwägerin in seine Vergangenheit ein. Anna Jahn übernahm die Sorge für das nunmehr zweijährige Geschöpf und brachte es mit Leonharts Einverständnis nach England zu einer Freundin und entfernten Verwandten, der Vorsteherin eines Gouvernantenheims, bei der Hildegard Körner – auf diesen Namen war das Kind getauft – auch erzogen wurde und verblieb. Eigentümlicherweise liebte Leonhart das mutterlose Wesen (denn die Tänzerin, lungenkrank, war mittlerweile in Arosa gestorben) mit einer Art von poetischer Schwärmerei, obwohl er es gar nicht kannte, ein Gefühl, das sich immer mehr steigerte, in der Folge nie in ihm erlosch und das von Anna Jahn gehegt und verstanden wurde, während Elli, nachdem sie erst durch einen anonymen Brief, dann durch das zögernde Geständnis ihres Mannes über den Sachverhalt aufgeklärt war, sich eifersüchtig dagegen wehrte und nicht einmal vertrug, daß der Name des Kindes erwähnt wurde. Von da an erscheint Anna Jahn in das Leben Leonharts unauflöslich verstrickt. Sie war nach dem Tod ihrer Mutter aus Köln, wo sie gewohnt hatten, fortgezogen, hatte ein paar Monate in verschiedenen Städten gelebt, war dann nach Bonn gekommen und wurde täglicher Gast im Hause von Schwester und Schwager. Ob der verhängnisvolle Einfluß, den sie auf Leonhart und seine Ehe übte, sogleich oder erst nach und nach hervortrat, darüber waren die Ansichten geteilt. Man brauchte kein Prophet zu sein, um da ein schlimmes Ende vorauszusagen. Es gibt Schicksalsverknüpfungen, die beinahe Gemeinplätze sind (obwohl hier eine Persönlichkeit im Spiel war, die zunächst im Hintergrund blieb und die den Verlauf über das Niveau bürgerlicher Banalität hinaushob). Die erstaunliche Schönheit seiner jungen Schwägerin konnte einen Mann wie Leonhart nicht unberührt lassen. Anna Jahn stand damals auf dem Gipfel ihrer Entfaltung; wer sie
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