Der Fall Maurizius
Mühe konnte der Alte es beschaffen. Eine Winkelbank lieh es ihm zu wucherischem Zinsfuß. Leonhart war betroffen. Vater und Sohn hatten damals ein langes Gespräch miteinander, eine ganze Nacht hindurch saßen sie bei einer Flasche Liebfrauenmilch in der Rosenlaube hinter dem Haus, und das Ende war, daß Maurizius den Sohn förmlich um Verzeihung dafür bat, daß er ihm die Reichtümer nicht zu Füßen legen konnte, die dieser mit Fug von ihm fordern durfte, war es doch in seinen Augen ein beispielloser Erfolg, den kaum Zweiundzwanzigjährigen als Universitätslehrer bestellt, als Leuchte seines Fachs anerkannt zu sehen. Zwei Monate später fand die Verlobung und sechs Wochen darauf die Heirat Leonharts mit Elli Hensolt statt, der Witwe eines wohlhabenden Papierfabrikanten, die er bei einem Aufenthalt in Kreuznach kennengelernt hatte. Beide Ereignisse, Verlobung wie Heirat, teilte er dem Vater nur mit ein paar dürftigen Worten mit. Maurizius' Bestürzung war so groß, daß er, als die Neuvermählten gegen Ende der Hochzeitsreise auf ein paar Tage auf das Gut zu Besuch kamen, noch immer wie mit Stummheit geschlagen war und nicht einmal richtigen Abschied von Leonhart nahm, als sie wieder wegfuhren. Leonhart ergriff nicht ohne Eifer die Gelegenheit, sich verletzt zu fühlen, und zog sich in der Folge vom Vater zurück, indem er sich den Anschein gab, als bemerke er dessen Groll und Enttäuschung nicht. Die Sache war die, daß ihm die liebevolle Tyrannei schon längst lästig geworden war und daß er sich zudem des Vaters schämte, seiner ungeschliffenen Manieren, seiner Einfältigkeit und Unbildung. Als bürgerlicher Snob legte er über seine Herkunft gern einen diskreten Schleier. Er brauchte ja nun den Alten nicht mehr, seine Frau hatte ihm eine Mitgift von achtzigtausend Mark zugebracht, das Vermögen, das sie von ihrem verstorbenen Mann geerbt hatte, dessen Ehe mit ihr kinderlos geblieben war.
Elli Hensolt, nunmehr verehelichte Maurizius, war eine geborene Jahn. Die Jahns waren noch um die Wende des Jahrhunderts eine angesehene Familie im Rheinland gewesen, Notar Jahn hatte in den letzten Jahren seines Lebens die Stelle eines Bürgermeisters von Remagen bekleidet und galt als eine Spitze der Zentrumspartei, der er während des Kulturkampfes bedeutende Dienste geleistet hatte. Es gelang ihm aber nicht, sein Schäfchen ins trockene zu bringen, der schwindelnde Aufschwung des Landes riß ihn nicht empor, er war vielleicht zu anständig oder nicht geschickt genug, etwas von dem goldenen Überfluß für sich in Sicherheit zu bringen; nach seinem Tod sah sich die Familie zwar nicht arm, aber doch auf eine bescheidene Rente beschränkt und fiel langsam in Dunkelheit zurück. Außer Elli waren noch zwei Kinder da, ein Sohn, der als Oberleutnant in den afrikanischen Kolonialkämpfen fiel, und eine zweite Tochter, Anna, die zur Zeit von Ellis Verheiratung achtzehn Jahre alt war.
Viele Umstände kamen zusammen, um Peter Paul Maurizius' Abneigung gegen die Ehe und den Haß gegen die Frau seines Sohnes zu nähren. Der zuerst, daß die Jahns Katholiken waren. Obgleich selbst nichts weniger als ein frommer Protestant, nicht einmal ein regelmäßiger Kirchenbesucher, hielt er doch an den eingelebten Bräuchen seiner Familie fest, mit jenem Puritanismus, der eine Mischung ist von Bauernstolz, Enkelgehorsam und dem Bewußtsein, einer fortgeschrittenen Gemeinschaft anzugehören. Doch diesen Verrat hätte er verwunden, da er ja nie etwas unternommen hatte, um ihn zu verhüten. Schlimmer, daß die Frau weder anziehend noch hübsch noch elegant war, überhaupt keine in die Augen fallenden Vorzüge besaß; auch nicht auf Vornehmheit konnte sie sich berufen, auf edles Blut, auf glänzende Beziehungen, auf Reichtum. Achtzigtausend Mark, eine erbärmliche Summe, gemessen an Leonharts Wert, Leonharts Zukunft, Leonharts Möglichkeiten. Das schlimmste aber war, daß sie um volle fünfzehn Jahre älter war als er. Eine achtunddreißigjährige Frau und ein dreiundzwanzigjähriger Mann, und dieser Mann Leonhart, darüber war nicht hinwegzukommen. Vergeben hat sich Leonhart, in die Schlingen einer Füchsin ist er geraten, man hat das Feuer in ihm erstickt, man hat sich ihn als Schlepper für ein leckes Schiff gekauft, bald wird seine herrliche Jugend zertrümmert hinter ihm liegen. So betrachtete der Alte diese Eheschließung, und da er fest daran glaubte, daß ihm Elli den Sohn geraubt, die Liebe des Sohnes gestohlen, Leonharts Herz gegen den
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