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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Miene des Alten bemerkte, gab er jeden weiteren Versuch auf, auch jede Verstellung, es war ihm nur noch darum zu tun, schnell wieder wegzukommen. Der Alte hielt ihn nicht. Wäre Leonhart vor ihm auf die Knie gefallen, er hätte ihm nicht zehn Pfennig gegeben, solang er nicht aus seinem Mund das Wort vernahm: ich bin los von der Frau. Und er spielte eine bemerkenswerte Komödie der Heuchelei, als er den Sohn kalt zur Tür begleitete, ohne ihm die Hand zu reichen. Das war derselbe Mann, der nach der Verurteilung und während der Strafverbüßung des Sohnes ein Vermögen zurücklegte: für den Sohn. Es gab für ihn kaum eine Hoffnung, den abgöttisch Geliebten zeit seines Lebens wieder in Freiheit zu sehen, den lebenslänglich Eingekerkerten wieder in die Nutznießung des beharrlich aufgesammelten Kapitals gesetzt zu wissen, dennoch richtete er seine Existenz so ein und traf seine Maßregeln derart, als wäre mit Sicherheit darauf zu rechnen. Es war ihm gelungen, das Gut unter günstigen Umständen zu verkaufen; nach Abzahlung der Hypotheken blieben ihm fünfunddreißigtausend Mark. Diese Summe hatte er in schier unbegreiflich ahnungsvoller Voraussicht bei einer Schweizer Bank deponiert (man sagt von Besessenen, daß sie den einen Zweck, der sie erfüllt, mit wahrer Luzidität verfolgen), und von einem kleinen Teil der Zinsen bestritt er seine Bedürfnisse. Er lebte wie ein Armenhäusler, seine Wohnung war ein Loch, sein Anzug war Jahr um Jahr derselbe, seine Mahlzeiten bestanden aus Käse, Wurst und Brot, und nach achtzehn Jahren waren aus den fünfunddreißigtausend Mark sechzigtausend Franken geworden. Er war vierundsiebzig Jahre alt, der Gedanke, daß er sterben könne, ehe Leonhart das Zuchthaus verließ, kam ihm gar nicht in den Sinn, der Tod hatte nicht nur keinen Schrecken, sondern auch keine Wirklichkeit für ihn.
    9

    Das Bild dieser Vergangenheit setzte sich für Etzel erst später und aus vielen Einzelheiten zusammen, die er nach und nach erfuhr. Er hatte in der Folge noch mehrere Unterredungen mit Peter Paul Maurizius, sie trafen sich an einem vereinbarten Ort unweit vom Andergastschen Haus. In senilem Schwachsinn und weil alle seine Pläne und Versuche bis jetzt kläglich gescheitert waren, sah der Alte in dem Knaben etwas wie einen göttlichen Sendboten, er setzte sich über den lächerlichen Altersunterschied hinweg und war gesprächiger als gegen irgendeinen Menschen seit zwanzig Jahren. Wobei er freilich immer noch vorsichtig blieb. Aber der Knabe hatte es ihm angetan, wie man zu sagen pflegt, er hielt es nicht für unmöglich, daß er ihm in seiner großen Sache dienen könne; und während er sich einbildete, ihn zu diesem Ende schlau zu ködern, ließ er sich von dem mindestens ebenso schlauen Jungen über alles ausholen, was er zu wissen begehrte, teilte ihm auch wichtige Partien aus seinem sorgfältig gesammelten Material mit. Wiewohl Etzel dadurch ziemlich genaue Kenntnis der Begebenheiten wie der Verhältnisse der handelnden Personen erlangte und mit seinem wie Quellwasser unverbrauchten Blick das verworrene Spiel der Interessen klar überschaute, begriff er ebenso sicher die dämonenhafte Düsterkeit der dahinterliegenden Welt, die ihm in ihrer Gesamtheit unauflöslicher schien als das Tun der Menschen. Sehr niedrig; vollkommen abgetrennt von allem, was ihm bisher als »Welt« gegolten hatte; deswegen auch so unauflöslich. Schon aus diesem Grund versagte er sich jede verfrühte Schlußfolgerung und benahm sich wie der gelehrige Schüler eines Kurses für polizeiliche Recherchen.
    Als der Alte aus seiner schlafähnlichen Versunkenheit emportauchte, in die er, wie ein Säufer in seinen Rausch, jeden Tag oder jede Nacht einmal fiel, um die Vergangenheit zu enträtseln, eine faßliche Formel dafür zu ergrübeln, war sein erstes Geschäft, die Pfeife auszuklopfen und neu zu füllen, wobei seine zitronengelben Knochenhände zitterten. Währenddem fing er an zu sprechen. Leute, die einen Teil ihres Lebens damit zugebracht haben, über ein und dieselbe Materie nachzudenken, alle übrigen Geschehnisse auszuschalten, alle Menschen, mit denen sie zu tun haben, in abhängige Beziehung zu ihr zu bringen, setzen bei jedem Zuhörer ihre eigene vollständige Kenntnis voraus und geraten sogar in Zorn, wenn sie auf ihren Irrtum gestoßen werden. Hier kam hinzu, daß Etzel das greisenhafte Geplapper zunächst nicht verstand und Maurizius bisweilen durch ein freundliches »Wie, bitte? was, bitte?« furchtlos

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